Theo Waigel zum 80. Geburtstag

Theo Waigel zum 80. Geburtstag

Theo Waigel feiert heute am 22. April seinen 80. Geburtstag. Als er 1988 dem plötzlich verstorbenen Franz Josef Strauß im Amt des CSU-Vorsitzenden folgte, hatte ich die Gelegenheit ihn als Pressesprecher in den ersten Jahren seiner Amtszeit zu begleiten. Im Herbst 1988 ahnte ich nicht, was auf uns zukommen sollte. Es kamen gewaltige Umwälzungen wie die Deutsche Einheit, der Untergang der alten Sowjetunion und die Vertiefung der Europäischen Union durch den Maastricht-Vertrag über die Einführung einer europäischen Gemeinschaftswährung. In einem Beitrag für den BAYERNKURIER habe ich Theo Waigels politisches Werk und sein Vermächtnis gewürdigt. An dieser Stelle veröffentliche ich den Text noch einmal. Der Ehrenvorsitzende der CSU gehört zweifellos zu den Elderstatesmen. Theo Waigel war schon immer einer der Nachdenklichen, die für sich wichtige Impulse in Gesprächen mit Literaten, Philosophen und Theologen gewinnen. Er gehört zu der Gattung von Politikern, die erst reden, wenn sie das Ergebnis eines Denkprozesses mitteilen. Wobei diejenige, die reden ohne groß nachzudenken, beileibe keine Zeiterscheinung sind. Winston Churchill sagte vor gut 70 Jahren in einer der legendären Debatten es britischen Unterhauses über einen “right honorable friend” aus der Opposition: “Sie gehören zu jener Kategorie von Politikern, die wenn sie aufstehen, um etwas zu sagen, nicht wissen, was sie sagen sollen. Wenn sie dann etwas sagen, nicht wissen was sie da reden und wenn sie sich wieder hinsetzen, nicht wissen, was sie gesagt haben.” Und nun der Artikel:

“Kein anderes Datum erklärt den Politiker Theo Waigel besser als das seines 50. Geburtstages am 22. April 1989. Die CSU feierte das runde Wiegenfest ihres Vorsitzenden mit einem Empfang im Münchner Hofbräuhaus. Einen Tag zuvor, am 21. April 1989, war er ins Bonner Kabinett eingetreten. Waigel war jetzt Bundesfinanzminister. Sechs Monate vorher hatte ihn der Parteitag zum Nachfolger des plötzlich verstorbenen Franz Josef Strauß gewählt. Bis zu diesem Tag führte Waigel die Gruppe der CSU-Bundestagsabgeordneten. Er galt als Vordenker der Partei und hatte auf Wunsch von Strauß das Grundsatzprogramm der CSU geschrieben. Als Chef der Landesgruppe war er der Mann zwischen Franz Josef Strauß und Helmut Kohl. Er musste das schwierige Verhältnis der beiden Unionsantipoden moderieren. Ein bekannter Publizist hatte ihm dafür den Beinamen der „Katalysator der CSU“ verliehen, weil er die kräftigen, mitunter harschen Wortmeldungen aus der Münchner Staatskanzlei mit besänftigenden Untertönen versah und sozusagen bereinigte. 

Die beiden „Beförderungen“ lasteten schwer auf dem Politiker aus dem beschaulichen schwäbischen Dorf Oberrohr nahe Ursberg. Der legendäre Franz Josef Strauß hatte tiefe und große Spuren in der politischen Landschaft Deutschlands hinterlassen. Die Medien überboten sich gegenseitig mit Kommentaren über das Ende des Mythos CSU: Die Partei sei ohne ihren Übervater zum Scheitern verurteilt. Vorbei die Zeiten, in denen das politische Gewicht der CSU ausreichte, um die Politik in Bayern, der Bundesrepublik und in Europa zu gestalten! Am besten wäre es, wenn sich diese „bayerische Regionalpartei!“ dazu durchringen könnte, der CDU als (damals!) elfter Landesverband beizutreten. Der Karikaturist Horst Haitzinger hatte Bayern nach dem Tod von Franz Josef Strauß als schwarzes Loch in der Landkarte der Bundesrepublik gezeichnet. Das Ansehen der Bonner Regierungskoalition unter Führung von Bundeskanzler Helmut Kohl war zwanzig Monate vor der Bundestagswahl im Oktober 1990 auf einem historischen Tiefpunkt angelangt.

Alles zusammen bildete eine wenig berauschende Ausgangslage für den politischen Weg von Theo Waigel. Er hatte sich getreu seinem Motto „Das Amt muss zum Mann kommen und nicht der Mann zum Amt“ in die Pflicht nehmen lassen. Darauf, dass ihr ein Marathon von neun Jahren als Bundesfinanzminister und zehn Jahren als Parteivorsitzender folgen sollten, hätten damals nur wenige gesetzt.

Mit der ihm eigenen Ironie hatte Waigel ab und zu gerne darauf verwiesen, dass sein Vorname Theodor übersetzt „Geschenk Gottes“ bedeutet – wohl wissend, dass bei aller Geschlossenheit nicht alle Parteifreunde dieses göttliche Attribut auch empfanden. Nicht zuletzt deshalb betonte er in diesem Kontext gerne, wie wichtig es sei „hemmungslos gut übereinander“ zu reden. Dabei erwies sich seine Wahl zum Vorsitzenden der CSU in der Tat als Glücksfall in schwieriger Zeit. Er schaffte es die CSU erfolgreich in die Nach-Strauß-Ära zu führen. Die Partei behielt ihr scharfes Profil als erfolgreichste christliche, bürgerliche Volkspartei Europas mit Wahlergebnissen von über 50 Prozent. Die CSU gewann das Vertrauen der Wählerinnen und Wähler, weil sie ungebrochen getreu ihrem politischen Credo handelte: „Sagen, was man tun will, und tun, was man sagt“. 

Schon im Herbst des Jahres 1989 stellte die Geschichte Theo Waigel und seine Partei vor die nächste riesige Herausforderung. Das DDR-Regime konnte seine Kritiker nicht mehr verstummen lassen. Mit Beginn der Ferienzeit füllten sich die Botschaften der Bundesrepublik Deutschland in den „sozialistischen Bruderstaaten“ mit Flüchtlingen, die einen Reisepass der DDR besaßen. In den Botschaftsgebäuden in Prag und Budapest herrschte akuter Platzmangel.

In dieser Situation erkannte Theo Waigel früher als andere den beginnenden Autoritätsverlust des Regimes und den Umbruch in der DDR und anderen europäischen Mitgliedstaaten des Ostblocks. Bei der Sommerklausur der CSU-Bundestagsabgeordneten sprach der Parteivorsitzende gegenüber Medienvertretern offen das aus, was die meisten Politiker im In- und Ausland für undenkbar hielten. Er verkündete. dass „die Deutsche Einheit wieder auf der Tagesordnung der Weltgeschichte“ steht. Über Waigel brach ein heftiges politisches Gewitter herein. Die Kritik prasselte auf ihn von allen Seiten ein. Kaum ein Medium brachte genügend Phantasie auf, ihrem Publikum eine Vorstellung von der Welt ohne „Eisernen Vorhang“ zu geben. Die meisten Politiker hingen in ihrer Gedankenwelt am Status Quo fest und waren somit unfähig, ein Deutschland ohne Mauer, Stacheldraht, Selbstschussanlagen und Schießbefehl auf der DDR-Seite zu denken. 

Nur wenige Wochen später wurde Theo Waigels Einschätzung Wirklichkeit. Abertausende Menschen drängten sich in den Montagsdemonstrationen auf den Straßen der Städte in der DDR und skandierten „Wir sind das Volk“. Kurz darauf riefen sie „Wir sind einVolk!“, um klar zu machen, dass es hier nicht nur um einen Regimewechsel in Ost-Berlin ging, sondern um die Wiederherstellung der Einheit Deutschlands. Der CSU-Vorsitzende hatte recht behalten. Was folgte, war ein einmaliges historisches Ereignis – der Sieg einer friedlichen Revolution und der Fall der Mauer durch Berlin am 9. November 1989. Die Tür. zur Deutschen Einheit stand offen. Während die Sozialdemokraten und Grünen bis auf Willy Brandt zögerlich bis ablehnend reagierten, ergriffen Theo Waigel und Helmut Kohl die Chance die Teilung Deutschlands mehr als vierzig Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges zu überwinden. Der Bundeskanzler und sein Finanzminister machten sich an die Bewältigung der Aufgabe, die staatliche Einheit wiederherzustellen und eine zentral gelenkte Volkswirtschaft in eine Wirtschaft zu transformieren, die den Prinzipien der sozialen Marktwirtschaft folgt.  Dafür gab es weder Lehrbücher noch Vorbilder. Theo Waigel schloss den ersten völkerrechtlich verbindlichen Vertrag über die deutsche Wirtschafts- und Währungsunion. 

Im Rückblick lesen sich die Daten des Einheitsprozesses so, als markierten sie einen bequemen Weg. Doch die Wegstrecke erwies sich als weitaus steiniger als anfangs gedacht. Die DDR zählte entgegen dem offiziellen Ranking der OECD nicht zu den zehn stärksten Volkswirtschaften der Welt. Sie war kurz gesagt bei ihrem Zusammenbruch schlichtweg pleite. Ihre Unternehmen waren kaum wettbewerbsfähig und als sie ihre angestammten Märkte im Osten durch den Zusammenbruch des RGW, des gemeinsamen Ostblock Marktes, und den Wegfall des Transferrubelsystems verloren, blieben Rechnungen in Milliardenhöhe unbezahlt. Die Probleme nahmen gewaltige Dimensionen an. 

Wieder lösten Berichte in den Medien eine Diskussion über das „nahende Ende“ der CSU aus. Deutschland werde „größer, nördlicher und protestantischer“ hieß es dort, die CSU werde schon deshalb kleiner und verlöre an politischer Bedeutung. Der lebende Gegenbeweis war der CSU-Vorsitzende Theo Waigel. Er war einer der großen Gestalter der Deutschen Einheit und der Zukunft der europäischen Gemeinschaft. Seine Handschrift und damit die der CSU prägte die Deutschland- und Europa-Politik bis 1998. Es ist zweifellos ein immens großes Verdienst des Mannes aus Ursberg seine Partei in schwierigster Zeit mit Erfolg durch die Stürme der Zeit geführt zu haben. Wobei man das „führen“ durchaus wörtlich nehmen darf. 

Ungeachtet des deutschen Einheitsprozesses trieb die EU das Projekt der europäischen Gemeinschaftswährung voran, das bereits seit den 80er Jahren vor dem Hintergrund massivser Spekulationswellen gegen einzelne nationale Währungen Europas verabredet worden war. Der Maastricht-Vertrag mit seinen strengen Stabilitätskriterien ist das währungspolitische Meisterwerk von Theo Waigel. Er schaffte es, die Stabilität der D-Mark nach Europa zu bringen und war Namensgeber der neuen Gemeinschaftswährung – des Euro. Ohne den rot-grünen Sündenfall einer zu hohen Staatsverschuldung und die Aufnahme Griechenlands in die Runde der Euro-Staaten hätte sich niemand Sorgen um die Stabilität der Gemeinschaftswährung machen müssen. Aber die rot-grüne Nachfolgerregierung unter Gerhard Schröder wich massiv vom Stabilitätskurs ab und verwässerte die Stabilitätskriterien mit den bekannten Folgen, die in der Eurokrise im ersten Jahrzehnt dieses Jahrhunderts gipfelten. 

Woraus schöpfte Theo Waigel seine Kraft und die politische Inspiration, um solche Mammutaufgaben schultern zu können, die auch für mehr als ein Politikerleben ausreichen würden? Er kannte das Leben, auch das der einfachen Leute mit allen Licht- und Schattenseiten. Seine Kindheit auf dem Hof seiner Eltern in Oberrohr blieb nicht ungetrübt. Sein Bruder wurde in jungen Jahren Opfer des Zweiten Weltkrieges. Das war für ihn ein Erlebnis, das sozusagen zur Wurzel seines politischen Handelns wurde. Fragt man ihn heute, warum Europa und die EU so wichtig sind, erklärt er seinen Zuhörern, dass ein geeintes Europa die einzig richtige Konsequenz aus der Menschheitskatastrophe ist, die von Nazi-Deutschland ausgelöst worden war. Die längste mit jetzt über siebzig Jahren andauernde Friedenszeit auf dem europäischen Kontinent ist das Ergebnis einer Idee, die von Männern wie Winston Churchill, Robert Schuhman, Alcide de Gasperi, Konrad Adenauer und Franz Josef Strauß auf den Weg gebracht wurde. 

Theo Waigel gehört zur Generation von Politikern, die ihren Antrieb aus eigenen Erinnerungen an die schweren Jahre vor und nach1945 bezieht. Deshalb wird er auch nicht müde, sich für Europa stark zu machen. Damit das Erkennen der Errungenschaften der europäischen Einigung, nicht im grauen Gedankengebäude nationalistischer Kleinstaaterei verloren geht. Mitten auf dem Weg zur Deutschen Einheit forderte Theo Waigel in einer seiner Grundsatzreden quasi eine Maxime für verantwortliches Handeln in der Politik. „In einer Zeit, in der niemand weiß, was kommt, muss man wissen, was kommen soll.“ Nur so können Politiker den Menschen Orientierung geben und dabei Vertrauen gewinnen. Theo Waigel hat stets danach gehandelt.

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