“Standortbestimmung in volatilen Zeiten” eine Rede von Theo Waigel

“Standortbestimmung in volatilen Zeiten” eine Rede von Theo Waigel

Meine wichtigsten und ertragreichsten politischen Lehrjahre habe ich 1988 nach dem Tod von Franz Josef Strauß als Parteisprecher des CSU-Vorsitzenden Theo Waigel erlebt. Es waren die Jahre der friedlichen Revolution in der DDR und im Osten Europas, der Deutschen Einheit, des Falls der Mauer und des Eisernen Vorhangs und des Endes des Kalten Krieges. Diese Jahre 1988 bis 1992 waren – ein wenig so wie heute – der Beginn einer neuen Epoche, begleitet von großer Verunsicherung und Verlustängsten. Von Theo Waigel habe ich dabei drei Grundsätze gelernt:

1.) Politik ist die Kunst des Möglichen und nicht das Beharren auf Forderungen nach dem Unmöglichen!
2.) In unsicheren Zeiten, in denen niemand weiß, was kommt, muss Politik den Menschen beschreiben, was kommen soll.
3.) Gute Politiker zeichnen sich dadurch aus, dass sie den Menschen die Ängste vor der Zukunft nehmen.

Ende Juli hat Theo Waigel bei der Landesversammlung der Jungen Union Bayern im schwäbischen Friedberg eine bemerkenswerte Rede gehalten, die für die Frage, wo der Standort der CSU in dieser Zeit der Aufgeregtheit sein soll, wichtige Antworten gibt. Seine Analyse der nationalen und internationalen Lage, sein historischer Rückblick, warum die Einheit von CDU und CSU so bedeutend ist, und warum eine Strategiedebatte im politischen Koordinatensystem überflüssig ist, sind Denkanstöße für alle, die in der CSU Verantwortung tragen und tragen werden.

Einen Redetext im Internet zu veröffentlichen ist wegen des großen Umfangs für einen Blog zwar ungewöhnlich, aber ich halte diese Rede für so wichtig, dass ich den Text in vollem Umfang dokumentiere. Ich garantiere den Lesern eine sehr interessante Lektüre, die viele Einblicke in die Historie und die „Seele“ der CSU bietet.

Hier der Text:

29. Juli 2018 Friedberg / Dr. Theo Waigel, Bundesminister a.D. und Ehrenvorsitzender der CSU

Blick in unsere Zeit

Wenn ein früherer Landesvorsitzender der Jungen Union, der 1971 in Starnberg gewählt wurde, fast 50 Jahre später mit seinen Nachfolgern spricht, soll es nicht eine Reminiszenz an die sogenannte gute alte Zeit sein. Ich gehöre nicht zu denen, die glauben, früher sei alles besser gewesen. Im Gegenteil: Ich vertrete ich die Meinung, wir leben in der besten aller Welten und ich möchte mit keiner Vergangenheit tauschen.
Und dennoch müssen wir uns der Krise unserer Zeit stellen. Vor einiger Zeit besuchte ich das Burgtheater in Wien und eine Aufführung von „King Lear“ mit Klaus Maria Brandauer in der Hauptrolle. Im vierten Akt irrt der geblendete Gloster durch die Wildnis und weiß nicht, wer ihn begleitet. Dabei entfährt ihm der Satz: „Es ist die Seuche unserer Zeit, Blinde führen Verrückte.“ Danach herrschte für einige Sekunden bleierne Stille, dann brach minutenlanger Applaus auf. Jeder Besucher ging seinen eigenen Gedanken nach. Manche dachten an die österreichische Präsidentenwahl, andere an die in den Vereinigten Staaten von Amerika, wieder andere an den Brexit, manche an den Herrscher in der Türkei und wieder andere an den“ Zar“ in Russland.

Wir leben in einer instabilen geopolitischen Situation. Das zeigen die Auseinandersetzungen in Syrien, dem Irak, in Libyen und in Afghanistan. Das Verhältnis der EU zu den USA ist angespannt wie seit Jahrzehnten nicht mehr, das völkerrechtswidrige Verhalten Russlands führt zu Sanktionen der EU und auch die EU und China liegen im Clinch, wenn es um den Aufkauf von strategisch wichtigen Firmen geht.

Umso wichtiger sind glaubwürdige und tatkräftige Politiker aus unseren Reihen wie Gerd Müller als Entwicklungsminister, der mit seiner überzeugenden Afrikapolitik Flüchtlingsursachen konkret angeht Manfred Weber, auch ein früherer Landesvorsitzender der Jungen Union, ist ein Anker und eine Vertrauensperson im Europäischen Parlament, der die Europapolitik der CSU der letzten Jahrzehnte konsequent weiter entwickelt. Markus Söder übernahm in turbulenten Zeiten das bayerische Regierungsschiff.

Weichenstellungen in der CSU

Die CSU hat in der Vergangenheit an der Entwicklung einer multipolaren Welt entscheidend mitgewirkt. Dies war der Fall bei der Wiedervereinigung, für die Deutschland seit 1990 etwa 2,5 Billionen € aufgebracht hat. Das entspricht in unserer früheren Währung einem Betrag von ca. 5000 Milliarden D-Mark. Kein anderes Land auf der Welt hat in diesem Zeitraum mehr für seine eigene Bevölkerung und die Integration in einen gemeinsamen Staat geleistet. Und trotz dieser immensen Last stehen wir heute besser da als alle anderen Staaten in Europa. Hinzu kommen noch gewaltige Summen an Garantien und Bürgschaften für die mitteleuropäischen Staaten und die Nachfolgestaaten der Sowjetunion. Wir haben dies getan um die Stabilität in diesen Regionen zu gewährleisten und demokratische Strukturen aufzubauen. Der größte Beitrag stammte von uns und müßte bei den Ausgaben für Verteidigung und Sicherheit im Rahmen der NATO in Rechnung gestellt werden.
Wir haben einen Fehler gemacht, nämlich den Menschen in den neuen Bundesländern nicht genügend erklärt, wie es um die Wirtschaft, die Produktivität, die Auslandsschulden und Verbindlichkeiten der DDR stand. Wir haben das, was Deutschland in diesen Jahrzehnten geleistet hat, nicht genügend verdeutlicht. Wir haben aber auch in unseren volkswirtschaftlichen Statistiken nicht berücksichtigt, was über 3 Millionen Menschen die aus der DDR in die Bundesrepublik Deutschland geflüchtet waren oder freigekauft wurden für die Entwicklung Westdeutschlands geleistet haben. Angesichts dessen, was die kommunistische SED ihren Menschen zugefügt hat und der Verbrechen, die sie begangen hat, wäre es konsequent gewesen, die PDS als Nachfolgeorganisation zu verbieten. Noch 1992 schreibt Sahra Wagenknecht: „nicht zu leugnen ist, dass Stalins Politik – in ihrer Ausrichtung, ihren Zielen und wohl auch in ihrer Herangehensweise – als prinzipientreue Fortführung der Leninschen gelten kann. Nicht der Stalinismus – der Opportunismus erweist sich als tödlich für die gewesene sozialistische Gesellschaftsordnung… Unter den Bedingungen des Bestehens beider Gesellschaftssysteme bedeutet Opportunismus zwangsläufig: Verzicht auf das Endziel Weltsozialismus.“ Als Sahra Wagenknecht für die Spitze der Partei kandidiert, schreibt sie
„Nicht nur ist die Revolution undurchführbar ohne vorherigen systemimmanenten Kampf; ein konsequenter, kompromißlose Kampf innerhalb des Kapitalismus ist ebenso wenig möglich, wenn das letztliche Ziel, die Überwindung dieser Gesellschaftsordnung, aus den Augen verloren wird.“
Diese Aussagen entlarven die Initiatorin einer neuen Bewegung für eine neue linke Front. Mit solchen Fragen und Aussagen müsste die Dauerbesetzerin der deutschen Talkshows konfrontiert werden.

Europa – unser Schicksal

Meine herzliche Bitte an die Junge Union besteht darin, sich der Europapolitik zu widmen und zu einer europäischen Jugend- Institution zu werden.
Allein die Exportzahlen der bayerischen Landwirtschaft, der bayerischen Wirtschaft beweisen, wie wichtig die Europäische Union und eine gemeinsame europäische Währung für Bayern sind. Wenn der deutsche Außenhandelsüberschuss über 8 % des BIP beträgt, zeigt dies wie sehr Deutschland auf Europa ausgerichtet ist und vom gemeinsamen Europa profitiert.
Dabei hat die Wirtschafts- und Währungsunion aus der Krise der letzten zehn Jahre und der gefährdeten finanzpolitischen Tragfähigkeit einiger Länder Konsequenzen gezogen. Die Rettungspakete für die Länder Irland, Portugal, Spanien, Zypern waren erfolgreich. Alle diese Länder können sich wieder am internationalen Finanzmarkt betätigen. Selbst Griechenland ist auf einem guten Weg und erwirtschaftet erstmals reale Haushaltsüberschüsse. Warum eigentlich reden wir über diese Erfolge nicht öfters und stellen Sie den dumpfen Stammtischparolen der AFD und anderer Skeptiker entgegen? Nur die Europäische Union ist in der Lage Unternehmen wie Google Grenzen aufzuzeigen und ungerechtfertigte Zumutungen des amerikanischen Präsidenten abzuwehren. Nur eine geschlossene Haltung der Europäischen Union gegenüber Russland schützt uns vor weiteren völkerrechtswidrigen Übergriffen und die Souveränität der baltischen Staaten.

Auch im bayerischen Landtagswahlkampf sollten wir über die Vorteile Europas für Bayern, seine Bürger und seine Wirtschaft sprechen. Dabei könnte Bayern ein Subsidiaritätsprogramm entwickeln, in dem Zuständigkeiten Europas, die nicht in Brüssel liegen müssen, wieder zurück an die Staaten und Länder gehen.

CSU – eine bayerische Partei in Deutschland und Europa

Es war eine historische Entscheidung von Franz Josef Strauß und anderen vorwärtsblickenden Kräften in der CSU Ende der vierziger und in den fünfziger Jahren die Bayernpartei nicht mit Parolen zu überholen, sondern die CSU als eine bayerische Partei mit Verantwortung für Deutschland und Europa programmatisch aufzustellen. Strauß und seine Mitstreiter haben damals die Auseinandersetzung mit Fritz Schäffer und Alois Hundhammer erfolgreich geführt und die CSU zu einer Partei der Jugend und der Zukunft gemacht.

In den schweren Auseinandersetzungen der siebziger Jahre um die Ausrichtung der Deutschland- und Ostpolitik war sich Strauß der Verantwortung im politischen Prozess bewusst. Der Brief zur Deutschen Einheit, die Stimmenthaltung zum Moskauer Vertrag und der Gang nach Karlsruhe, waren kluge, verantwortungsvolle politische Entscheidungen in schwieriger Zeit. Später hat Strauß mit dem Milliardenkredit für die DDR menschliche Erleichterungen erreicht und die Abhängigkeit der DDR von der Bundesrepublik Deutschland beschleunigt. Sein Moskau Besuch 1987 und die Gespräche mit Gorbatschow und Schewardnadse eröffneten der CSU zusätzliche Mitwirkungsmöglichkeiten im Ost-West Prozess und im internationalen Geschehen. Schon in den siebziger Jahren war der Besuch von Strauß in China und das Gespräch mit Mao Tse Tung eine politische Sensation.

Wir haben die internationale Ausrichtung der CSU auch nach dem Tod von Franz Josef Strauß fortgesetzt. Die deutsche Wirtschafts- und Währungsunion bedeutete eine irreversible Entscheidung im Hinblick auf die deutsche Einheit. Die CSU war bei der Wiedervereinigung in der Koalition und in der Bundesregierung an maßgeblicher Stelle beteiligt. Ich bin stolz darauf, den Überleitungsvertrag verhandelt zu haben, mit dem es gelungen ist, für 12 Milliarden DM alle sowjetischen Streitkräfte und Waffen innerhalb von drei Jahren von deutschem Boden zurück nach Russland zu verbringen. Wir sollten nicht vergessen, dass zeitweise mehr als 1 Million Sowjet-Menschen in Ostdeutschland lebten. Wir haben dabei Russland und die Nachfolgestaaten der Sowjetunion nicht über den Tisch gezogen, aber das Zeitfenster mit Michael Gorbatschow genutzt. Wir verdanken auch Boris Jelzin, dass er sich an alles gehalten hat, was wir mit Gorbatschow vereinbart hatten.

Allein diese politischen Ereignisse der letzten Jahrzehnte zeigen, wie wichtig Außenpolitik, Sicherheitspolitik, Entwicklungspolitik und Europapolitik für CSU und Junge Union sind.

Im besten Jahrzehnt deutscher Geschichte im letzten Jahrhundert war die CSU maßgeblich daran beteiligt, parallel zur deutschen Einheit die Europapolitik voranzubringen und den gemeinsamen Markt mit einer gemeinsamen Währung zu vervollständigen. Dabei war der Euro nicht der Preis Deutschlands für die Zustimmung unserer europäischen Partner zur deutschen Einheit. Das behaupten in Frankreich zwar die Hagiographen von François Mitterand und einige deutsche Politiker und Zeitgeschichtler. Ich bin kein Historiker und kein Zeitgeschichtler, aber ich war dabei! Es war die großartige Leistung von Helmut Kohl neben dem Prozess der deutschen Einheit, die europäischen Schritte nicht zu unterbrechen und damit Ängste und Befürchtungen unserer Nachbarn auszuräumen.

CSU und CDU – eine gemeinsame Union

Fast alle wichtigen Weichenstellungen der Politik in der Nachkriegszeit sind eng mit der CSU verbunden. Schon 1948 sprachen sich die Vertreter der CSU im Frankfurter Wirtschaftsrat, Franz Josef Strauß und Hugo Karpf für die Soziale Marktwirtschaft aus, obwohl Ludwig Erhard noch 1947 von der CSU Landtagsfraktion wegen seiner Rolle als bayerische Wirtschaftsminister heftigst kritisiert worden war.

1949 entschied sich die CSU für eine Fraktionsgemeinschaft mit der CDU und sicherte sich damit Mitsprache und Einfluss im Geschehen der Bundesrepublik Deutschland weit über die wirkliche Stärke in Deutschland hinaus. Von 1949-1969 stellte die CSU wichtige Regierungspositionen in einer von CDU/CSU geführten Bundesregierung. Ein Wendepunkt in dieser Beziehung hätte der Kreuther Trennungsbeschluss von 1976 werden können. Wenige Wochen später hat der damalige Parteivorsitzende Franz Josef Strauß die Widerstände in der eigenen Partei und in der Öffentlichkeit berücksichtigt und sich gemeinsam mit Helmut Kohl wieder für eine gemeinsame Fraktion in der Opposition entschieden. Ich bin damals für die Einheit der Fraktion eingetreten. Mich hat die Strategie des getrennten Marschierens und des vereinten Schlagens nicht überzeugt. Dies wäre nur mit Engeln und Soldaten möglich gewesen. Mit Engeln, weil sie seit dem Fall von Luzifer der Sünde nicht mehr zugänglich sind und mit Soldaten, weil die gehorchen sollen. Politiker sind aber weder Engel noch Soldaten, sodass dieses Strategie in jedem Ort und in ganz Deutschland zu einem Gegeneinander von CDU und CSU geführt hätte. Wir haben dann die schwierigen Oppositionsjahre bis 1982 miteinander durchgehalten und auch als Opposition einen unverzichtbaren Beitrag zum Gemeinwohl und der demokratischen Kultur in Deutschland geleistet. Von 1982-1998 hat die CSU in der Koalition mit der CDU unter Bundeskanzler Helmut Kohl einen maßgeblichen Beitrag zur Entwicklung Deutschlands erbracht und damit unsere Nation eine beachtliche Rolle im europäischen und internationalen Bereich verschafft mit einer Verantwortung Deutschlands in Europa wie nie zuvor in den letzten 120 Jahren. Auch 1990 sind wir der Versuchung widerstanden uns auf die neuen Bundesländer auszubreiten. Die Identität der CSU liegt in Bayern. Dabei haben wir die Spannungen in einer Koalition mit der FDP ausgehalten und bewältigt. Die Auseinandersetzungen mit der FDP in der Innen- und Rechtspolitik, aber auch bisweilen in der Außenpolitik waren nicht kleiner als die gegenwärtigen Probleme mit CDU und SPD in der Bewältigung der Flüchtlingsproblematik. In solchen Zeiten gilt es Brücken zu bauen, Spannungen zu verringern und tragfähige Kompromisse für alle Beteiligten herbeizuführen. Dies ist in der damaligen Zeit den Fraktionsvorsitzenden Wolfgang Schäuble, Wolfgang Mischnick und den Vorsitzenden der Landesgruppe Wolfgang Bötsch, Michael Glos und mir gelungen. Auch heute unter veränderten Umständen mit neuen Themen und Herausforderungen muss dies möglich sein. Die Alternative dazu wäre ein Scheitern von Koalition und Regierung mit katastrophalen Folgen für alle Beteiligten, auch für die CSU. Wir müssen uns auch in strittigen Punkten immer wieder die Frage stellen, mit wem und unter welchen Umständen können wir unsere Forderungen durchsetzen. Allein gelingt es nur in Bayern, wenn wir über eine absolute Mehrheit verfügen. Im Bund sind CDU und ein weiterer Koalitionspartner notwendig, um unsere Ziele umzusetzen. Das funktioniert nicht mit Drohung und Ultimatum, sondern durch Überzeugen, Argumente, Rücksichtnahme und Kompromissen. Dies ist schließlich beim gemeinsamen Wahlprogramm von CDU und CSU 2017 und beim Koalitionsabkommen 2018 gelungen.

Die Krise unserer Zeit

Wie konnte aus einem berechtigten Anliegen, der vernünftigen Steuerung des Flüchtlingsstroms und der Wiederherstellung der europäischen Regeln eine Situation entstehen, die uns Stimmen kostet, die Grünen stärkt und die A FD stabilisiert? Es war ein Fehler, die von der CSU erreichten Erfolge klein zu reden und die Stabilisierung der Situation nicht als Erfolg herauszustellen. Dem Satz der Bundeskanzlerin: „wir schaffen das“ hat die CSU erfolgreich das Mantra hinzugefügt: „Wie schaffen wir es – was schaffen wir?“

Dabei war auch in Kreisen der CSU der Ruf zu hören „Merkel muss weg“. Das war töricht und kontraproduktiv. Sie ist in Bayern populär, wenngleich ihr der Hass der AFD und unbelehrbarer Zeitgenossen entgegenschlägt. Ich habe mich im letzten Jahr mit Freunden zu einer
„Merkel- Initiative“ entschlossen, weil ein Wahlkampf gegen die Bundeskanzlerin, die man als gemeinsame Kandidatin aufgestellt hat, unsinnig gewesen wäre. Ich bin nicht bereit, die Kritik an dieser Initiative widerspruchslos hinzunehmen. Ich habe die Bundeskanzlerin am 30. September dieses Jahres zu einem Europa-Symposion nach Ottobeuren und einem anschließenden Konzertbesuch in der Basilika eingeladen. Auch der bayerische Ministerpräsident Markus Söder wird zu dieser Veranstaltung kommen und ein Grußwort sprechen.

Semantik bedenken

Ein wichtiger Punkt unserer Auseinandersetzung gerade mit Rechtsradikalen und der A FD ist die politische Semantik. In einem Artikel der „Welt“ vom 25. Juli werden Schlagworte untersucht, die in der gegenwärtigen Asyl- und Flüchtlingsdebatte eine Rolle spielen. Wir müssen Acht geben, dass wir nicht Begriffe und Worte verwenden, die die NPD schon in den neunziger Jahren und später die AFD benutzt haben. Ich finde es bemerkenswert und positiv, wenn sich Politiker in der CSU zu Fehlern bekennen und bestimmte Begriffe in der Debatte nicht mehr verwenden wollen. Dabei kommt mir eine Predigt des evangelischen Bischofs Martin Kruse aus dem Jahr 1987 in Erinnerung, die er an Bischöfe und Politiker richtete.
„Politiker haben es besonders schwer, weil sie meinen, die eigenen Fehler und Enttäuschungen nicht eingestehen zu dürfen. Und es ist ja auch so, Unvollkommenheit bei Menschen in hoher Verantwortung wird von dieser Welt böse angerechnet. Die Unvollkommenheit des Menschen gehört wesenhaft zu ihm, darum muss auch der Politiker seine Unvollkommenheit annehmen, damit wird sie nicht zum Defizit, sondern zur Chance ihr positiv zu begegnen.“
So wird das Eingestehen von Fehlern und ihre Vermeidung zu einem befreienden Akt auch im politischen Geschehen. Ich habe mich jedenfalls befreit gefühlt, wenn ich Fehler korrigiert und damit hinter mir gelassen habe.

Keine falsche Strategiedebatte

Ich warne auch vor einer überflüssigen Strategiedebatte im politischen Koordinatensystem. Die CSU muss aus der Mitte des politischen Koordinatensystems die Auseinandersetzung bestreiten und vom Zentrum aus, liberale, konservative und soziale Inhalte entwickeln. Unsere Wähler wollen unbestreitbar in der politischen Mitte Platz finden. Fast 70 % der Bürger erwarten, dass Politiker so rasch wie möglich pragmatische Lösungen für anstehende Probleme finden. Auch wenn dabei nicht alle Prinzipien einer Partei verwirklicht werden können, erwartet die Bevölkerung effiziente Lösungen und respektiert dabei auch Kompromisse.

Die Primäridee der CSU

Das „C“ ist auch in unserer säkularen Zeit die überwölbende und einigende Idee der Christlich Sozialen Union. Die Christlich Soziale Union entstammt einer Primäridee, nämlich der Verantwortung vor Gott und der daraus folgenden Achtung vor dem Nächsten. Mit dieser Primäridee ist die CSU fähig, die nötigen religiösen Motive in eine Wirtschaft und Staatsidee zu übersetzen. Der Bezug zu Gott lehrt Handeln in Demut. Die Freiheit des Menschen und seine Würde stehen im Mittelpunkt unseres Denkens und Handelns das „C“ bestimmt unsere Programmatik. Die Freiheit des Christenmenschen ist Grundlage unserer Liberalität und der Offenheit für die Moderne. Weit über 50 % der Bürger reagieren auf den Begriff christlich mit spontaner Sympathie nur etwa ein Viertel mit Antipathie. Dagegen sehen über 50 % den Begriff konservativ eher negativ und nur ein Viertel mit Sympathie. Das „S“ bedeutet Solidarität zu allen Menschen, nicht nur einer Klasse oder einer Schicht. Auf Franz Josef Strauß ist im Jahre 1968 die Einfügung des Begriffs „konservativ“ in das Grundsatzprogramm zurückzuführen. Damals plädierte er dafür wir sind auch konservativ. Konservativ allein führt nicht weiter.

Ich kann mit der Forderung nach einer „konservativen Revolution“ wenig anfangen. Der Begriff ist schillernd und negativ besetzt. Er war ein Kampfbegriff in der Weimarer Republik gegen die Demokratie. Mit diesem Thema hat Armin Mohler bei Karl Jaspers promoviert. Später war er Sekretär von Ernst Jünger, der ihm nicht national genug war. Nach einem kurzen Intervall bei Marcel Hepp landete er schließlich bei Franz Schönhuber. Diese Vorgeschichte ist nicht geeignet, die Programmatik der CSU begrifflich zu verbessern.

Politische Philosophie

Ich wäre der Jungen Union dankbar, wenn sie sich stärker mit politischer Philosophie beschäftigen würde. Die Grundthese von Carl Schmitt, dass Politik dem Freund-Feindbild entspreche, kann ich nicht folgen. Wir könnten manches aus den Betrachtungen von Joseph Bernhart lernen, der die Krise der Demokratie schon 1949 in einer Arbeit für die UNESCO beschrieben hat. Dem Thema Moral und Politik haben sich in jüngster Zeit so bedeutende Philosophen wie Vittorio Hösle, Hans Joas, und Robert Spaemann gewidmet. Ich würde mich freuen, wenn sich Vertreter der Jungen Union wieder verstärkt bei Tagungen der Katholischen Akademie in München, der Evangelischen Akademie in Tutzing und der Politischen Akademie in Tutzing sehen lassen würden. Die CSU ist in diesen Institutionen nicht stark genug vertreten.

Wir sollten auch im Umgang mit Intellektuellen, Künstlern, Dichtern und Theaterleuten die richtigen Konsequenzen ziehen. Es hat uns noch nie genutzt, wenn wir mit diesen Kreisen in eine emotionale Auseinandersetzung eingetreten sind. Nur das Gespräch, der Dialog und Begegnungen bringen uns voran. Die Einladungen von Reiner Kunze, Martin Walser, Wolf Biermann und anderer kritischer Geister nach Kreuth zu Kaminabenden, zu Diskussionen und Begegnungen haben ein unverkrampftes Verhältnis zu den Kulturschaffenden ermöglicht. Ich erinnere mich noch wie Peter Gauweiler in seinen Studienjahren im Alten Simpel und andernorts Franz Josef Strauß mit Rainer Werner Fassbinder und anderen interessanten Zeitgenossen zusammengebracht hat. Da hilft es nicht zornig und beleidigt zu reagieren, sondern selbstbewusst das Gespräch und die intellektuelle Auseinandersetzung zu suchen. Kriege, die man nicht gewinnen kann, muss man vermeiden oder beenden.

Der kompromisslose Kampf gegen die AfD

Völlig anders sehe ich die Auseinandersetzung mit der AfD und Hassorganisationen auf dem rechten Spektrum. Hier hilft kein Totschweigen, kein Vorbeischauen. Sie sind nicht nur Feinde Bayerns, mit einem abstoßenden Zynismus und einer menschenverachtenden Sprache. Sie denunzieren Europa, obwohl Europa eine Schicksalsfrage für Deutschland ist. Sie verherrlichen den Nationalstaat, obwohl dieser allein nicht mehr existieren kann. Sie verachten Minderheiten in einer unchristlichen Art und Weise. Sie machen die Demokratie lächerlich und sie sind Intolerant gegen alle anderen.
Sie bieten keine Lösungsansätze für die Herausforderungen der Zukunft. Sie leben vom Hass und der Wut, die sie erzeugen und befördern. Sie erinnern in fataler Weise an die naiven bürgerlichen und rechtsnationalen Kräfte, die Hitler zur Macht verholfen haben.

Was sind unsere Themen für die Zukunft:

1. Nachhaltigkeit und Investitionen für die Zukunft. Ein Zukunftsfond sollte Ausdruck der „Freundschaft zwischen den Generationen“ sein. Nicht nur die explizite, sondern auch die implizite Staatsschuld müsste bei jeder Haushaltsentscheidung eine Rolle spielen.
2. Europa ist das Projekt der Jugend und muss in der CSU wieder eine größere Rolle spielen.
3. Heimat in einer globalen Welt ist ein Grundwert. Der Schutz der Schöpfung, der Natur, des Lebens, der Muttersprache und des Dialekts gehören zu den Grundanliegen christlich sozialer Politik. Horst Seehofer hat dazu in der FAZ einen bemerkenswerten Beitrag geleistet.
4. Wir müssen eine moderne, digitale Welt in Einklang mit menschlicher Natur und Würde gestalten.

5. Humanität und christliche Nächstenliebe müssen korrespondieren mit Verantwortungsethik und dem Erkennen der Grenzen von Politik. Gerade die Bewältigung der Flüchtlingsproblematik muss in ein großes politisches Projekt gekleidet und in allen Gremien diskutiert werden.
6. Aufgabe der Politik ist es, den Menschen Angst zu nehmen und Zuversicht und eine positive Sicht der Dinge den Menschen zu vermitteln. Die Menschen brauchen Halt in einer globalen unübersichtlichen Welt. Dazu bedarf es der Institutionen, kultureller Wurzeln, des Brauchtums und der Nachbarschaft, Sinngebung, religiöser Kraftquellen, der Muttersprache und des Dialekts. Das alles gehört zur Identität.

Die CSU hat dies in unnachahmlicher und in ganz Europa unerreichter Art und Weise vollbracht. Sie ist ein Erfolgsmodell mit dem Alleinstellungsmerkmal
in Bayern erfolgreich, in Deutschland mitbestimmend, in Europa unverzichtbar.

An der Jungen Union Bayern wird es liegen, dieses Zukunftsmodell erfolgreich in das nächste Jahrzehnt zu tragen.

3 Gedanken zu „“Standortbestimmung in volatilen Zeiten” eine Rede von Theo Waigel

  1. Es ist eine Freude, ein Genuss und eine echte „Wohltat“ diese Rede zu lesen und den Inhalt buchstäblich aufzusaugen. Letzteres beweist wie ausgetrocknet viele von uns sind wenn es darum geht aus den eigenen Reihen vernünftiges gut artikuliert anzuhören und nicht gefühlt hochmütiges plump und platt – letzteres wird dann mit angeblicher Bürgernähe umschrieben – eingetrommelt zu bekommen. Ich hoffe nur dass die Worte gerade bei der JU ( aber nicht nur…) auf einen aufnahmefähigen Boden trifft. Dort scheint gelegentlich keine „Dürre“ sondern eher ein total übersättigter Grund vorhanden zu sein.
    Danke fürs Mitteilen…

  2. Der Brief ist sehr gut geschrieben, auch die Politik seit 1949 ist nicht zu kurz gekommen. Das die Junge Union etwas mehr tun muß,liegt auf der Hand .Politik ist ein Wissen das man Menschen näher bringen soll. Es ist eine gute Idee von Herrn Hausmann diesen Brief zu veröffentlichen, aber die CSU müsste mehr herausheben was alles in dieser Zeit geschehen ist , die Bevölkerung muss wieder mitgenommen werden, das Sie auch das Politische Leben mitbekommt ,wir sind jetzt in eine neue Politische Zeit eingetreten ( Der Text Näher am Menschen, wurde leider nicht vollzogen) ,wo sich die Welt seit Jahren verändert hat. Schnelligkeit ist jetzt in der Politik gefordert .Nicht alles teile ich in der Politik, wie Abwerben des Lagers anderen Parteien. Ich bin CSU Mitglied seit fast 20 Jahren, ich habe FJS in seiner Staatskanzlei noch in der Prinzregenten Str. kennen gelernt Er fehl und fehlt in allen Politischen Punkten .Für den 14 Oktober wünschen ich mir, das alle denkenden Bayrischen Bürger ,die etwas von Politik verstehen zur Wahl gehen und CSU Wählen ,in diesen Sinne ,Gott mit Dir der Bayern.

  3. Theo Waigel spricht mir aus dem Herzen, er verkörpert die CSU der ich mich eng verbunden fühle und die meine politische Heimat ist! Nur schade, dass das momentan in unserer Partei vielfach nicht verstanden wird. Es haben sich dort Leute des Worts bemächtigt, die früher nie auch eine Funktion erreicht hätten, weil solches rechte Sektierertum und Deutschtümelei in der CSU völlig verpönt war!

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