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Author: Peter Hausmann

Wahl mit Qual oder das Urteil des Paris

Wahl mit Qual oder das Urteil des Paris

Was hat die Entscheidung der über tausend Delegierten des anstehenden CDU-Parteitags mit dem Trojanischen Krieg zu tun? Die Analogie zur griechischen Mythologie drängt sich auf. Es ist das Urteil des Paris. Eris, die Göttin der Zwietracht, hatte vergrätzt über eine Nichteinladung vor dem Festsaal einen goldenen Apfel deponiert. Er sollte der schönsten Göttin gehören. Zeus kniff und wälzte die Entscheidung dieser Frage auf den Jüngling Paris ab. Er sollte wählen, ob Aphrodite, Athene oder Hera den Apfel bekommt. Der junge Mann wurde umworben.  Er überreichte den Apfel schließlich Aphrodite, die ihm die schönste Frau der Welt zur Frau versprach. Bedauerlicher Weise war die Dame bereits verheiratet. Es war die schöne Helena, die Gattin von Menelaos, dem König von Sparta. Der Rest – die Entführung Helenas, die Belagerung und Vernichtung Trojas – steht bei Homer in der Illias nach zu lesen. 

Die CDU-Delegierten befinden sich bei ihrem virtuellen Parteitag in einer ähnlich vertrackten Situation. Armin Laschet, Friedrich Merz und Norbert Röttgen bewerben sich darum, die Nummer eins in der CDU zu werden. Egal für wen sich die Delegierten als neuen Vorsitzenden der CDU entscheiden, es werden immer zwei Kandidaten auf der Strecke bleiben. Ob die Verlierer das Urteil der Parteitagsbasis mit Gleichmut und der dem Sportsgeist gemäßen „stiff upper lip“ tragen werden, bleibt dahingestellt. Auch wenn das virtuelle Format der Veranstaltung kaum Hitzigkeit aufkommen lassen wird, sind bleibende Verwundungen bei den gescheiterten Aspiranten wahrscheinlich. Ein Blick in die Geschichte der Machtkämpfe in der CDU lässt vermuten, dass die drei nach dem Parteitag wohl keine dicken Freunde mehr werden, so wie Helmut Kohl und Rainer Barzel. Beide rangen um den Parteivorsitz. Das begründete eine beiderseits gepflegte Abneigung. Schon jetzt konnte man bei der Zeitungslektüre Zeuge so mancher kleinen Gehässigkeit werden, die von den Kandidaten oder ihren Gefolgsleuten an die Presse „durchgestochen“ wurden.

Die Christlich Demokratische Union Deutschlands könnte also eine ziemlich ungemütliche Zeit erleben und das in einem Jahr mit einer nahezu historischen Bundestagwahl, bei der erstmals in der deutschen Geschichte kein amtierender Kanzler bzw. keine Kanzlerin zu Wahl steht. Das bedeutet: Der Amtsbonus mit dem die Partei in den vergangenen Bundestagswahlen „wuchern“ konnte, ist im Herbst 2021 nur noch eingeschränkt vorhanden. Wie stark er sich mindert, wird vor allem davon abhängen, wie stark sich Angela Merkel, die wieder an alte Popularitätswerte anknüpft, im Wahlkampf für den Spitzenkandidaten der Union ins Zeug legt.  

Deshalb wird die Frage, wer CDU und CSU als Spitzenkandidat in den Wahlkampf um Mehrheit und Kanzlerschaft führt, unausgesprochen über dem Parteitag schweben. Wie immer in der Geschichte der Bundesrepublik ist der CDU-Vorsitzende der erste Anwärter dafür. Seit 2005 musste sie nie beantwortet werden. Es galt: Der- oder diejenige mit den größten Erfolgschancen soll es sein. Das war seither ziemlich unumstritten Angela Merkel. Diesmal fällt die Antwort nicht so leicht. Bei einer nüchternen Betrachtung der Lage ist klar: Die Ausgangslage der Union ist nicht schlecht, aber ein Wahlsieg ist in einer politischen Landschaft kein Selbstläufer, die aktuell sechs oder (mit Blick auf die CSU) sieben Parteien im nächsten Bundestag vorsieht. Das Wahlziel der Union muss es sein, so stark abzuschneiden, dass gegen CDU und CSU kein tragfähiges Bündnis links von der Mitte zustande kommt. Wie immer soll der Spitzenkandidat der Garant dafür sein. Doch wer soll, oder besser kann es sein? 

 Jeder der drei möglichen CDU-Vorsitzenden weist Schwachstellen auf, die für Munition im anstehenden Wahlkampf sorgen könnten. Über Armin Laschet, wird verbreitet, er biete in der Pandemie-Krise keine sonderlich starke Performance. Friedrich Merz dürften seine erfolgreichen Jahre in der Wirtschaft nachhängen. Sie bieten SPD, Grünen und Linken genügend Potenzial, um ihn als „Knecht des Kapitals“ zu diffamieren.  Und bei Norbert Röttgen wird die Erinnerung an das Jahr 2012 sicherlich wieder wachgerufen werden. Damals war er Umweltminister in Merkels Kabinett und Spitzenkandidat der CDU in NRW. Die Landtagswahl ging verloren. Röttgen zog sein Bundestagsmandat der harten Oppositionsbank in Düsseldorf vor. Die öffentliche und veröffentlichte Aufregung über seine Weigerung war groß. Der Mann mit dem großen Intellekt verlor sein Ministeramt. Das weckt Zweifel am Stehvermögen und dem dazu gehörenden hohen Frustpotenzial eines möglichen Kandidaten Röttgen.

Womit der Blick wieder auf den CSU-Vorsitzenden fällt. Markus Söder kann sich derzeit über gute Popularitätswerte freuen. Er weiß aber, dass er der CSU noch einen überzeugenden Wahlsieg bei der nächsten Landtagswahl „schuldig“ ist – nachdem die erfolgsverwöhnte Partei bei der letzten Landtagswahl gerade noch einmal mit einem blauen Auge davongekommen ist. Deshalb sind seine Beteuerungen, wonach sein Platz in Bayern ist, keineswegs bloße Lippenbekenntnisse. Um ihn zum Kandidaten küren zu können, müsste die gesamte CDU so laut nach ihm rufen, dass sich Söder nicht verweigern kann. Die Geschichte der Unionsschwestern zeigt jedoch, dass dies bei CSU-Politikern so gut wie ausgeschlossen ist. Weder Edmund Stoiber noch Franz Josef Strauß waren uneingeschränkt bevorzugte Spitzenkandidaten.

Von der C- zur K-Frage – Die Kulisse für das Sommertheater steht

Von der C- zur K-Frage – Die Kulisse für das Sommertheater steht

Wer es noch nicht mitbekommen hat, der weiß es spätestens jetzt. Partystimmung auf den Plätzen der Großstädte und in den Parks, als hätte es den Covid-19 Virus nie gegeben. Urlaubspläne werden aller Orten geschmiedet. Und auch die Parteien kehren zum Normalbetrieb zurück.  Die beiden SPD-Vorsitzenden „Eskia und Walter“, wie eine Genossin das Führungsduo auf dem Parteitag nannte und es nicht als Witz meinte, arbeiten weiter unverdrossen daran, die traditionellen Wählermilieus der Sozialdemokraten einzureißen, wie die Reaktionen der Gewerkschaften auf die Blockade einer Kaufprämie für Automobile mit Verbrennungsmotoren zeigen. Und die CDU kehrt zur öffentlichen Behandlung der beliebten Frage zurück, wer nach Angela Merkel und Annegret Kramp-Karrenbauer künftig die Partei führen und nächster Regierungschef werden soll. Corona war gestern. Die Kulissen für das beliebte Sommertheater sind aufgebaut. Die C-Frage war gestern. Die K-Frage ist zurück! 

Während die Ankündigung des SPD-Vorsitzenden Norbert Walter-Borjans, nicht für den Bundestag zu kandidieren, nur als Randnotiz registriert wurde, liegt das besondere Interesse der Medien auf der K-Frage der Union. Friedrich Merz, Armin Laschet, Norbert Röttgen, Markus Söder oder am Ende doch noch einmal Angela Merkel? Lange bevor die Parteitage von CDU und CSU dazu das Wort ergreifen, debattieren die Polit-Astrologen sich die Köpfe heiß, wer es denn für die Union richten soll. 

Sicher ist nur, dass Angela Merkel wohl nicht überredet werden kann, noch einmal für das Amt der Bundeskanzlerin zu kandidieren. Ihr „Nein, sicher nicht!“ ist ausweislich der letzten TV-Interviews felsenfest. Wer Merkel kennt, weiß, dass es von Anfang an ihr Ziel war, das Datum für den Rückzug aus dem Kanzleramt selbst zu bestimmen. Das ist ein ehrgeiziges, weil historisches Ziel. Immerhin ist das noch keinem ihrer Amtsvorgänger geglückt. Angefangen von Adenauer, über Erhardt, Kiesinger, Brandt, Schmidt, Kohl und Schröder scheiterten bisher alle am Wählerwillen oder sich ändernden Machtkonstellationen im Bundestag. Angela Merkel wäre die erste, die selbst entscheidet wann Schluss ist. 

Auch die Bundestagswahl im Herbst des nächsten Jahres wird ein Hauch von Historie umwehen. Zum ersten Mal in der Geschichte der Bundesrepublik wird es keinen Spitzenkandidaten einer Partei geben, der als Amtsinhaber ins Rennen geht. Das macht die K-Frage und die Antwort darauf so interessant. Für CDU und CSU ist nur eins klar: Bei der Konstellation von sieben Parteien im Bundestag muss der Spitzenkandidat durch das Wählervotum eine Position erreichen, die es unmöglich macht, Mehrheiten gegen die Union zustande zu bringen. Die Frage, wer die Union in diese strategische Position bringen kann, beschäftigt die Phantasie – nicht nur die der Aspiranten.

Auch die Büchsenspanner und Einflüsterer sind wieder unterwegs. Und so wird aus Armin Laschet in einer Schlagzeile schon einmal „Armin Luschet“ und Markus Söder zum „Erbschleicher“, wie in der aktuellen Ausgabe des SPIEGEL. Dabei griffen die Hamburger beim Titelfoto tief in die Manipulationskiste. Söders Porträt vermittelt dem Betrachter etwas Diabolisches. Wie mir ein Freund mit fotografischen Fähigkeiten erklärte, entstehen solche Fotoporträts, wenn man im Bildbearbeitungsprogramm den Kontrastwert stark anhebt. Das Lächeln bekommt dann etwas Unheimliches und die Augenpartie etwas Böses. 

Ungeachtet dessen geben die Meinungsforscher derzeit Markus Söder die besten Chancen, die Union zum Wahlsieg zu führen. Doch der ist nicht nur CSU-Vorsitzender sondern auch Bayerns Ministerpräsident. Er hat sich in diesem Amt mit Erfolg profiliert. Nicht nur die Bewohner des Freistaats nehmen ihn und seine Politik positiv wahr. Seine Beliebtheitswerte sind hoch. Sein Mantra lautet dennoch: „Mein Platz ist in Bayern!“ Die Botschaft ist richtig platziert. Die bayerischen Wählerinnen und Wähler wollen Stabilität. Das Amt des Ministerpräsidenten ist in ihren Augen eine Position von hohen Ehren und gewiss keine Durchgangsstation. Eine anderslautende Botschaft Söders würde nur das Vertrauen erschüttern, dass die Bayern in ihren Landesvater haben. 

Auch für die CSU ist die Aussage ihres Vorsitzenden richtig und wichtig. Markus Söder trat sein Vorsitzendenamt an, als die Zustimmung zur Partei, die „das schöne Bayern schuf“, auf einem historischen Tiefpunkt angekommen war. Jetzt hofft die Partei darauf, dass Markus Söder sie in zwei Jahren bei der nächsten Landtagswahl wieder zu altem Ruhm und neuen Höhen führen wird. Söder ist der CSU also noch einen großen Sieg schuldig. Daher sein Zögern. Die Frage, ob Söder selbst nach der Spitzenkandidatur greifen will, verbietet sich. Ebenso, wie bei den Kandidaturen von Franz Josef Strauß (1980) und Edmund Stoiber (2002), sich gegen Widerstände aus den Reihen der CDU als Kanzlerkandidat durchsetzen zu wollen. Nur wenn die CDU ihm das Amt des Kanzlerkandidaten ohne große Debatte antragen würde, könnte und dürfte sich Markus Söder dafür entscheiden, Bundeskanzler werden zu wollen. Der CSU bliebe dann nicht anderes übrig, als Beifall zu klatschen und zu betonen, dass es schon immer ihr sehnlicher Wunsch ist, einen der Ihren als Bundeskanzler zu erleben.  

Best friends for ever?

Best friends for ever?

Die USA waren für uns Deutsche, die wenige Jahre nach dem Ende der Zweiten Weltkrieges geboren wurden – das „land of the free and the home of the brave”, wie es in der Nationalhymne der Vereinigten Staaten heißt. Sie waren schlicht und ergreifend das Land der Guten. Meine erste Begegnung mit einem der vielen tausend GIs, die damals in Deutschland stationiert waren, verlief sehr zu meiner Zufriedenheit, wie mein Großvater mir später erzählte. Ich war drei Jahre alt. Mein Großvater hatte mich in München abgeholt, um mit mir zur Oma nach Essen-Steele zu reisen. Wir teilten das Zugabteil mit zwei amerikanischen Soldaten. Nach der Schilderung meines Großvaters habe ich einen der beiden sehr lange staunend gemustert. Ich hatte bis dahin noch nie einen Menschen mit dunkler Hautfarbe gesehen. Der Mann hat sich, so die Erzählung, über mein Verhalten amüsiert und mit mir herumgescherzt.  Kurz bevor er und sein Kamerad ausstiegen, schenkte er mir meinen ersten Schokoriegel.

Das hat mir nicht nur eine gewisse Affinität zu Schokolade beschert, sondern auch das Fundament für meine feste Überzeugung gelegt, dass die USA unsere besten Freunde sind. Mit der Ermordung John F. Kennedys im November 1963, der in meinen Augen ganz real unser „best friend for ever“ war, bekam mein Amerikabild den ersten Riss. Als Martin Luther King am 4. April 1968 erschossen wurde, kam der nächste.

Ich hatte – wie viele meiner Generation – Mark Twains „Tom Sawyer und Huckleberry Finn“ und „Onkel Toms Hütte“ von Harriet Beecher Stowe gelesen. Ich wusste also ein wenig über die amerikanische Geschichte und die der Sklaverei in den USA. Erst als ich kurz darauf in einer Band zusammen mit drei schwarzen Jungs Musik machte, bekam mein persönliches, strahlendes Amerikabild die endgültigen Konturen und Kontraste. Die Drei waren direkt aus Vietnam in die Münchner Mc-Graw-Kaserne gekommen. Jeder von ihnen schleppte ein mehr oder minder großes Kriegstrauma mit sich herum. Ohne das Buch „Über den Krieg“ von Clausewitz damals gelesen zu haben, hinterließ diese Zeit mit der Band bei mir die dunkle Ahnung, dass der Satz, „Krieg ist die Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln“, stimmt, aber verschweigt, wie hoch der Preis dafür ist, den meine Kumpels aus der Band zahlen mussten. Von ihnen erfuhr ich viel über den Krieg in Vietnam und über das Leben der Afroamerikaner in den USA. 

Politisch sensibilisiert wuchs mein Interesse an den USA und an ihrer Außenpolitik. Trotz allem sah ich in den USA bis heute einen Freund und starken Partner Deutschlands in der westlichen Wertegemeinschaft. Bestätigt wurde dies zuletzt während der Zeit der friedlichen Revolution in der damaligen DDR und dem Mauerfall.  Skandierten die Montagsdemonstranten zunächst „Wir sind das Volk!“ folgte bald „Wir sind ein Volk!“. Das drückte die Sehnsucht nach der Einheit der beiden deutschen Staaten aus. 

Margret Thatcher und Francois Mitterand wollten diesem Wunsch der Deutschen zunächst nicht nachgeben. Helmut Kohls „guter Freund“, der französische Präsident Mitterand, tat ihm sogar den Tort an, wenige Wochen nach dem Mauerfall offiziell die damals noch existente DDR zu besuchen.  US-Präsident George Bush sen. ist es zu verdanken, dass die westlichen Siegermächte von 1945, die Geschichte nicht aufhielten und das Recht auf Selbstbestimmung der Deutschen akzeptierten. Auch wenn man die Bedenken der Partner in der EU verstehen konnte, die fürchteten ein größeres Deutschland könne die Balance in der europäischen Gemeinschaft gefährden, räumte Bush die Bedenken und den Widerstand Frankreichs und Großbritanniens gegen die Wiedervereinigung beiseite. Ein großer Freundschaftsdienst! 

Danach hatte sich die Welt grundlegend verändert. Deutschland war nicht mehr „Frontstaat“ und lag nicht mehr an der Nahtstelle zwischen der NATO und dem Warschauer Pakt. Die USA blickten nun intensiver über ihre Westküste in den pazifischen Raum. Das transatlantische Verhältnis dominierte nicht mehr die außenpolitische Agenda Amerikas. Dennoch blieb Deutschland ein enger Partner. Bushs Nachfolger Bill Clinton sprach von „partnership in leadership“. Auch die folgenden Präsidenten George Bush jun. und Barak Obama pflegten die Beziehungen zu Deutschland intensiv. Mit der Amtsübernahme durch Donald Trump endete dieser pflegliche Umgang.

Donald Trump fehlt es an politischen Konzepten. Er definiert seine präsidentiellen Pflichten damit, „Deals!“ zu machen. Er handelt politisch wie ein Wall-Street-Broker, für die ein Deal nur dann ein guter Deal ist, wenn er zu Lasten anderer geht. Nur so lassen sich die Angriffe auf deutsche Exporte und die angeblichen „nicht geleisteten Beiträge zur NATO“ interpretieren. Wobei die Heftigkeit der Angriffe wegen des laufenden Wahlkampfs in den USA deutlich zunimmt. Trump will gewinnen, egal wieviel Porzellan dabei zu Bruch geht. Es ist zu befürchten, dass auf diesem Wege aus den “best Friends” “frienemies” werden, um ein in den US-Medien beliebtes Wortspiel zu bemühen.

Gerade die letzte Episode, in deren Verlauf er den Rückzug von 9.500 Soldaten aus Deutschland und ihre Stationierung in Polen ankündigt, unterstreicht diesen Eindruck. Er versucht seinem Wahlvolk zu „verkaufen“, dass diese Soldaten Deutschland gegen Russland verteidigen sollen, obwohl das säumige Deutschland „seine Beiträge“ zur NATO nicht zahlt und dass die Polen – Achtung Sahnehäubchen! – für die Stationierung auch noch zahlen. Was für ein toller Deal! Was Trump zu sagen vergisst, ist die Tatsache, dass die US-Armee in Deutschland nur noch Standorte unterhält, die den eigenen strategischen und logistischen Interessen dienen.  In Stuttgart  ist das Hauptquartier der US Forces Africa stationiert. Auf dem Truppenübungsplatz nahe Grafenwöhr werden Soldaten für die Einsätze auf der arabischen Halbinsel ausgebildet und die Airbase in Ramstein  dient vor allem logistischen und strategischen Aufgaben.   

Auch wenn es nicht das Interesse der Bundesregierung ist, Gegendruck aufzubauen, weil  das ohnehin ziemlich ramponierte Verhältnis Deutschlands zu den USA nicht noch mehr beschädigt werden darf. Sie hätte die Möglichkeiten und auch Gründe dafür.  Die Aktivitäten auf der US-Airbase Ramstein! Im Dezember 2005 brachten sie die Bundesregierung in Verlegenheit, als Berichte über geheime CIA-Flüge mit Gefangenen, so genannte „extraordinary renditions“, in den Medien kursierten. 2013 berichtete das Politikmagazin Panorama über den Einsatz von amerikanischen Kampfdrohnen im Nahen und Mittleren Osten. Dabei soll eine Satelliten-Relais-Station in Ramstein eine wichtige Funktion haben. Die Angehörigen der Opfer dieser Kampfdrohnen verklagten 2014 die Bundesregierung. Ihr Ziel war es, die Bundesregierung zu zwingen, die Drohneneinsätze der USA zu verhindern.  Das Oberverwaltungsgericht in Münster stellte in seinem Urteil fest, dass Deutschland eine „Schutzpflicht für das Leben der Kläger“ habe. Die Bundesregierung könnte Donald Trump die Stirn bieten und Veränderungen am Vertrag über „den Aufenthalt ausländischer Streitkräfte in der Bundesrepublik Deutschland“ aus dem Jahr 1954 und der Vereinbarung von 1990 fordern, die diesen „Aufenthaltsvertrag seit der Wiedervereinigung ergänzt.  Immerhin ist darin eine „Entwicklungsoffenheit“ vorgesehen.

Der Anfang des Schreckens

Der Anfang des Schreckens

Das ist nur der Anfang des Schreckens und noch lange nicht sein Ende! Gemeint ist die aktuelle Meldung, wonach das BIP, das Bruttoinlandprodukt der deutschen Volkswirtschaft, im ersten Quartal dieses Jahres um 2,2 Prozent geschrumpft ist. Ab einem Minus von zwei Prozentpunkten spricht man von Rezession. Das ist der stärkste Verlust seit der Finanz- und Wirtschaftskrise 2008/2009, – und wir sind gerade erstmal an ihrem Anfang. Ob es eine steile Talfahrt oder ein regelrechter Absturz wird, steht erst fest, wenn das Statistische Bundesamt die Zahlen für die Monate, April, Mai und Juni veröffentlichen wird.

Wir erinnern uns. Im Januar war noch nicht von Pandemie die Rede obwohl es bereits Berichte und Bilder aus dem chinesischen Wuhan gab. Ab Februar wurden die Schatten dunkler, die sich über Europa legten. Mitte März schlossen Gaststätten, Geschäfte und Betriebe. Der so genannte „Lockdown“ begann. Die Experten sind besorgt, weil der Covid19-Virus bereits im ersten Quartal dieses Jahres wirtschaftlich großen Schaden angerichtet hat, obwohl die beiden ersten Monate gemessen an der Wirtschaftsleistung noch nicht besonders unter der Pandemie litten.  Das lässt nichts Gutes ahnen. 

Unternehmen investierten deutlich weniger. Die Deutschen halten sich beim Konsum spürbar zurück, was sicherlich nicht zuletzt auch an den geschlossenen Läden und Kaufhäusern lag. Nur der Bau und die Ausgaben von Bund, Ländern und Kommunen bremsten die rasante Talfahrt leicht. Die Bundesregierung schätzt das Minus bei der Wirtschaftsleistung für das gesamte Jahr 2020 auf ein Minus von 6,3 Prozent. Schon damit wäre die Rezession größer als im Finanz-Krisenjahr 2009 (-5,7%). Schätzungen von Wirtschaftsverbänden und Wirtschaftsforschungsinstituten beziffern den Einbruch der Wirtschaft sogar mit bis zu minus 10 Prozent.

Jetzt werden die Beschränkungen der Bürger in ihrem sozialen Leben langsam wieder zurückgefahren und die „Zumutung für unsere Demokratie“ gemildert, wie Bundeskanzlerin Angela Merkel die Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie nennt. Auch wenn es den Menschen schwerfiel, ihren Alltag umzukrempeln, konnte die Bundesregierung mit ihrem Krisenmanagement punkten. Die rasant gestiegenen Zustimmungswerte für Merkel und ihre Minister unterstreichen das. Doch die wahre Qualität des Krisenmanagements wird sich erst in den kommenden Monaten zeigen; – dann, wenn die aufgelegten Hilfs- und Konjunkturmaßnahmen Wirkung zeigen oder auch nicht. Verpuffen die eingesetzten Milliarden ohne die erhoffte nachhaltige Erholung unserer Unternehmen, weil die Gelder einfach nur mitgenommen werden, wie bei früheren „Konjunkturprogrammen“ in den 70er Jahren, oder gelingt es den stotternden Konjunkturmotor wieder auf Touren zu bringen? Die Antwort auf diese Frage bestimmt das endgültige Urteil über die Politik in der Krise.

„Der Politik“ wird gerne eine Art Allzuständigkeit zugeschoben. Aber das Ergebnis ihrer Programme kann sie nur bedingt beeinflussen. Deutschland ist bekanntlich eine der führenden Exportnationen. D.h.: Der wirtschaftliche Erfolg unserer Volkswirtschaft, wird auch davon abhängen, wie sich die traditionellen Absatzmärkte im Ausland entwickeln werden. Deshalb waren die Reden der Vorstandsvorsitzenden auf den virtuellen Hauptversammlungen der großen Unternehmen von einer Grundstimmung in Moll getragen. Zwar gebe es erste Anzeichen dafür, dass der „chinesische Markt wieder anspringt“. Für die USA und etliche andere Märkte auf der Welt, fehlen aber die Hoffnungsschimmer.

In der Türkei verfällt die Währung weiter und mittlerweile ist jeder dritte Arbeitnehmer arbeitslos. Auch in der britischen Wirtschaft hinterlässt der Covid19-Virus ein Feld der Verwüstung. Das hängt mit einem grundlegenden Strukturproblem der britischen Volkswirtschaft zusammen. Sie bezieht 84 Prozent des BIP aus dem Konsum.

 Die Arbeitslosenzahlen der USA schossen geradezu in die Höhe – im April dieses Jahres von 4,4 Prozent auf satte 14,7 Prozent. Das bedeutet: Mit mehr als 33 Millionen Arbeitslosen registrierten die US-Arbeitsämter die höchste Quote seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Dabei fehlen noch über 7 Millionen Menschen, die eigentlich in der Statistik unter „unbeschäftigt wegen vorübergehender Entlassung“ geführt werden müssten. Offenbar scheuen sich die Offiziellen davor. Dann würden sich die Arbeitslosenzahlen mit einem großen Schritt jenen Werten nähern, die es in der großen Depression der 20er-Jahre gab. Damals waren geschätzte 25 Prozent aller Erwerbsfähigen ohne Job. Die psychologische Wirkung dieser Quote wäre verheerend. Präsident Donald Trump verspricht den Amerikanern trotzdem ein „phänomenales Jahr“. Doch das glauben inzwischen nur noch die Hard-Core-Fans des ebenso eigensüchtigen wie großspurigen Präsidenten. 

Ist Deutschland also das gelobte Land? Die große Ausnahme? Viele Partner in der EU und in der Welt hoffen darauf, dass es die Deutschen wieder einmal schaffen und zur Konjunkturlokomotive werden. Aber auch bei uns steigt die Zahl der Arbeitslosen. Verglichen mit 2019 zählt die Arbeitslosenstatistik inzwischen über 400.000 arbeitslose Menschen mehr. Die Rechnung für das Kurzarbeitergeld wird immer höher.  Die Bundesanstalt für Arbeit schätzt die Kosten auf 30 Milliarden Euro für 2020. Trotzdem geht es “uns ja noch gold”, um den Titel eines Romans von Walter Kempowski zu bemühen.. 

Bei genauer Betrachtung der aktuellen Situation fällt mir als gelerntem Skeptiker auch die „Tante Jolesch“ ein. Das ist ein höchst vergnügliches Buch von Friedrich Torberg, in dem er Anekdoten aus dem Wien der k.u.k.-Zeit erzählt. Darin schildert der Autor, wie der „Neffe Franz“ von einem Autounfall berichtete, den er mit einem Schrecken und Blechschaden an seinem Fahrzeug überstanden hatte. Es sei „noch ein Glück“ gewesen, dass er nicht auf die Gegenfahrbahn, sondern ins Brückengeländer rutschte. Worauf die „Tante Jolesch“ lapidar feststellte: „Gott soll einen hüten vor allem, was noch a Glück ist.“ 

Der hohe Preis

Der hohe Preis

„There was a young lady of Niger
Who smiled as she rode on a tiger;
They returned from the ride
With the lady inside,
And the smile on the face of the tiger.”

Der britische Poet William Cosmo Monkhouse (1840 – 1901) soll diesen Limerik über den Ritt einer jungen Dame auf dem Rücken eines Tigers gedichtet haben. In dem die Geschichte allerdings nur für den Tiger ein zufriedenstellendes Ende fand. Irgendwie erinnern mich diese Zeilen an die Politik und ihr Bemühen die Auswirkungen des Covid19-Virus so gut, wie es geht, einzudämmen. Sie zeigt gemessen an den Infektionszahlen Erfolg. Unser Gesundheitssystem gerät nicht ins Schlingern. In Deutschland gibt es keine Bilder von überfüllten Intensivstationen und provisorischen Kühlanlagen für die Corona-Toten, wie in New York. In der Krise hat der Staat das Kommando übernommen. Er holte gestrandete Urlauber aus entfernten Ländern zurück, schloss die Grenzen und schickte die Menschen in die eigenen vier Wände und ins Homeoffice – soweit das möglich war. Und er lässt Geld regnen!

Jetzt hoffen alle großen Unternehmen ebenso wie Mittelständler und Selbstständige, dass die staatlichen Hilfen die Wucht der sich abzeichnenden Rezession abschwächen. Das Ergebnis wird darüber entscheiden, ob die politischen Manager der Krise strahlende Helden bleiben. So ist es eben: Heldenepen haben selten ein Happy End. Oft bleiben die Recken erschlagen auf der Wallstatt zurück oder sie irren umher wie einst Odysseus, der mit seinen Gefährten, von der Rache Poseidons gejagt, zu einer langen Irrfahrt im Mittelmeerraum verurteilt worden war. Wie sich das anfühlt, merken Bundeskanzlerin Angela Merkel und Bayerns Ministerpräsident und CSU-Vorsitzender Markus Söder in diesen Tagen, in dem der enge Schulterschluss der Demokraten sich dem Ende zuneigt und ihre Popularität sich ausweislich der Umfragewerte wieder in Richtung eines demoskopischen Normalmaßes bewegen. 

Auch wenn sie sich immer noch über ein beachtlich hohes Maß an positivem Zuspruch freuen dürfen, sind die Zeiten vorbei, in denen mir selbst altgediente Sozialdemokraten zuraunten, dass sie Markus Söder sofort zum Bundeskanzler wählen würden, wenn er denn für dieses Amt anträte. Sogar über eine fünfte Amtszeit von Angela Merkel wurde ernsthaft debattiert – sogar von ausgewiesenen „alten Freunden“ der Kanzlerin wie Horst Seehofer. Armin Laschet, Ministerpräsident Nordrhein-Westfalens, ist laut Medienwahrnehmung dagegen auf die Verliererstraße abgebogen. Weil er immer wieder einmal „wider den Stachel löckt“ und laut darüber nachdenkt, wie man schneller wieder zur Normalität zurückkehren könne, um den volkswirtschaftlichen Flurschaden des so genannten Lockdown einigermaßen erträglich zu machen. Bedauerlicher Weise klingt das für viele so, als habe sich der CDU-Grande aus Aachen der Gemeinschaft der Gegner des aktuellen Krisenmangements angeschlossen und sich in jenen merkwürdig skurrilen Chor eingereiht, der die Politik der großen Mehrheit der Krisenverhinderer heftig kritisiert. Dass sich dort Rechtspopulisten, mit Linken, Neo-Liberalen, Verschwörungstheoretikern, Impfgegnern und „Aluhut-Trägern“ versammeln, kommt für Laschet straferschwerend hinzu.

So endet der große politische Kampf gegen den Virus letztlich doch wieder im grauen Alltag der Parteipolitik; – in der Frage, wer Annegret Kramp-Karrenbauer an der Spitze der CDU nachfolgt und Angela Merkel im kommenden Jahr beerben wird und in den alten Umverteilungs- und Neiddiskussionen von links.  Vor dem Hintergrund der Krisenbewältigung wird wieder über Berechtigung der Boni für Manager und Dividenden für Aktionäre diskutiert. Die altbekannte Debatte über die „starken Schultern“, denen man eine Vermögensabgabe aufbürden sollte, wird entstaubt. Selbst bei Kirchenmännern, wie dem Ratsvorsitzenden der EKD, Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm, wirkt das „süße Gift“ dieser Rezeptur aus den Zeiten des Klassenkampfes. Jetzt kehren diese linken Ladenhüter hübsch neu verpackt als Maßnahme zur Krisenbewältigung  wieder. An dieser Art des Seuchen-Sozialismus beteiligen sich wie immer diejenigen, die der staatlichen Allmacht zutrauen, alles besser regeln zu können. 

Schon jetzt erweist sich, dass die staatliche Für- und Umsorge einen hohen Preis fordert. Die jüngsten Prognosen der Finanzwirtschaft deuten darauf hin, dass die Staatsquote in diesem Jahr über 50 Prozent betragen wird. „Vater Staat“ beansprucht die Hälfte des deutschen Bruttoinlandsprodukts. Das bedeutet: Die Exekutive baut ihre Verfügungsgewalt über das von Unternehmen und allen Bürgerinnen und Bürgern erarbeitete Vermögen aus. Es ist also eine Umverteilung von privat an die öffentliche Hand im Gang. Doch auch die Schulden, die jetzt in der Krise aus gutem Grund gemacht werden, müssen zurückgezahlt werden. Bei Olaf Scholz und seinen Nachfolgern wird die Tendenz wachsen, die Steuern eher steigen als sinken zu lassen. 

So richtig es ist, Opfer zu fordern und auf die Disziplin und die Solidarität unserer Gesellschaft zu setzen, um die Pandemie einzudämmen und zu bekämpfen. So wichtig ist es jetzt, in den Wochen der Rückkehr zur Normalität, für den wirtschaftlichen Wiederaufschwung auf den Ideenreichtum der Menschen und Unternehmen und damit auf die Individualität zu setzen, wie sie nur in einer freien Gesellschaft gedeihen kann.  Hinter der Vorstellung eines Staates, der jedes Lebensrisiko seiner Bürgerinnen und Bürgern abfedert, steht der Gegenentwurf einer freien Gesellschaft, die auf dem Prinzip der Selbstverantwortung fußt. 

“Time is on my side” – Wie die Linke ihre belastete Historie aussitzt

“Time is on my side” – Wie die Linke ihre belastete Historie aussitzt

Immer wenn Bundeskanzler Helmut Kohl vorgeworfen wurde, er würde die politisch drängenden Probleme aussitzen, (- und das tat die Opposition gerne und oft-) standen Vertreter der Linken in der ersten Reihe des Kritikerchores. Dabei hat die SED-Nachfolgpartei es in dieser Disziplin zu einer unangefochtenen Meisterschaft gebracht. 

„Time is on my side“ sangen die Rolling Stones auf einer Ihrer ersten Hit-Singles in den 60er Jahren. Die Genossen um Bisky und Gysi haben diesen Songtitel zu ihrem politischen Hit gemacht.  Wenn jetzt in Thüringen ein Ministerpräsident gewählt wird, werden die Vertreter der Linken einmal mehr auf den in ihren Augen falschen Grundsatzbeschluss der CDU hinweisen, der besagt, dass sich die CDU als Partei der Mitte gleichermaßen gegen Linke und AfD abgrenzt. Dabei wird der Konsens beschworen, wonach alle Parteien des demokratischen Spektrums zur Zusammenarbeit bereit sein müssen, wenn es um das Wohl des Landes geht. Dass sich die Linke dabei selbst als Mitglied dieser Gemeinschaft der Demokraten sieht, ist klar. Die gerade beendete Strategiekonferenz der Partei „Die Linke“ hat dies nachdrücklich unterstrichen.

Ihre Bundesvorsitzende Katja Kipping will das Thema „Regierungsbeteiligung der Linken“ mit aller Macht vorantreiben. Sie hat vor dem Hintergrund rot-rot-grüner Koalitionen in Berlin, ein Bändchen mit dem Titel „Neue linke Mehrheiten. Eine Einladung“ publiziert. Kipping ist die Vertreterin einer neuen Führungsgeneration der Linken. Sie hat 1998 ihr Abitur in Dresden gemacht und war schlicht zu jung, um sich politisch mit einer Mitgliedschaft der alten SED zu kompromittieren.

Sie ist die treibende Kraft, die den Druck auf die CDU-Abgeordneten in Thüringen hoch hält, sich bei der Wahl des Ministerpräsidenten pragmatisch zu verhalten und Bodo Ramelow ins Amt zu helfen. Für CDU-Politiker in den Bundesländern, die früher einmal die DDR bildeten, ist das ein höchst problematisches Unterfangen nicht nur wegen des Unvereinbarkeitsbeschlusses der Bundes-CDU. Für viele von ihnen ist die Linke die Fortsetzung der alten SED in einer Demokratie. Sie war unstreitig eine diktatorische Staatspartei, die noch immer für Mauer, Stacheldraht, Selbstschussanlagen, Schießbefehl steht und die Lebensplanung der Menschen in der DDR beeinträchtig und für viele auch zerstört hat.

Sicherlich hat die Linke in den drei Jahrzehnten seit der friedlichen Revolution in der DDR einige politische Häutungen gemacht und ist zu einer ernstzunehmenden linken Partei in der Bundesrepublik geworden. Dabei ist sie auch einiges vom politischen Ballast und SED-Müll losgeworden. Aber die aktuelle Diskussion um die Einhaltung der Äquidistanz lohnt den Blick darauf, wieviel SED heute, 30 Jahre nach der Wiedervereinigung, noch in der SED-Erbin die Linke steckt. Unabhängig von der Antwort darauf müsste man als PR-Mensch vor der erfolgreichen PR-Aktion der Alt-SED-ler um Gysi und Bisky eigentlich den Hut ziehen, mit der sie die dunklen Schatten ihrer undemokratischen und diktatorischen DDR-Vergangenheit dank geschickter Umbenennungen von SED, in PDS, dann in Linkspartei PDS und schließlich in Die Linke übertünchten und gleichzeitig das SED-Vermögen behielten. Immerhin hatte die SED bis zur Wende 1989 die stattliche Summe von 6 Milliarden Ost-Mark gebunkert. Da nach dem Mauerfall nur ein Teil des Parteivermögens in den Büchern auftauchte, will die Frage nicht verstummen, wo der „verschwundene Schatz“ der SED geblieben ist. Die Linke muss sich dabei den Vorwurf gefallen lassen, dass sie nie versucht hat, dies ernsthaft zu erforschen. 

Auch wenn es heute nicht mehr so gerne gehört wird: Die Partei „Die Linke“ ist die Rechtsnachfolgerin der alten SED. So erklärte der damalige Bundeschatzmeister Karl Holluba (im Amt bis 2010) der Linkspartei zuletzt 2009 in einem Dokument „zur Vorlage bei Gericht“: „ ‚Die Linke‘ ist rechtsidentisch mit der ‚Linkspartei, PDS‘, die es seit 2005 gab, und der SED, die es vorher gab.“ Niemand sei „je auf die Idee gekommen“, Die Linke sei „nicht identisch mit der PDS“.

Auch heute noch gibt es in dieser Partei etliche Genossen, die aus Zeiten der alten SED stammen. In den 80er-Jahren hatte die SED mehr als zwei Millionen Mitglieder. Das waren fast 10 Prozent der gesamten DDR-Bevölkerung. Ende 2018 summierte sich die Mitgliederzahl nur noch auf rd. 62.000 Genossen. Das Beitrittsdatum von rund 8.000 Mitgliedern lag vor 1989, also noch zu SED-Zeiten. Bei über 11.000 Mitgliedern ist unklar, wann sie den Weg zu dieser Partei fanden. Gesamt haben also mindestens 13 Prozent aller Mitglieder der Linken eine SED-Vergangenheit. Wahrscheinlich liegt der Prozentsatz aber höher. 

Die Funktion als Auffangbecken für alte SED-Kader endete spätestens 2007,  als nach dem Zusammenschluss mit der „WASG“ von Oskar Lafontaine viele Ex-SPD-Genossen und  Anhänger der K-Gruppen zur Linken stießen , die in den 70er-Jahren ihre Kämpfe gegen „Kapitalismus und Zionismus“ in der alten Bundesrepublik austrugen. Die Jahrzehnte der Einheit taten ein Übriges.  Sie rückten die SED-Erbin von ihrem Ursprung als diktatorische Staatspartei ein gutes Stück in Richtung demokratische Normalität. 

Mitunter zeigen sich tiefe Risse in der demokratischen Fassade; – wenn die Genossen dogmatisch den „Systemwechsel“ in Deutschland beschwören. Auch in der Außen- und Sicherheitspolitik weisen sich die Genossen mit der strikten Ablehnung der NATO oder dem beredten Schweigen über die Menschenrechtsverstöße in Russland, Kuba, Venezuela oder China nicht gerade als lupenreine Demokraten aus. Das Paktieren mit den Anhängern des mit dem Begriff „Antizionismus“ kaum verdeckten politischen Antisemitismus lässt weitere Zweifel zu.

Auch bei der Aufarbeitung der eigenen Parteigeschichte malt die Linke gerne mit leichten Aquarelltönen. Auf ihrer Website betonen die Genossen, dass die Gründung der DDR ein „legitimer Versuch“ war, einen sozialistischen Staat aufzubauen. Aber der sei am „Unrecht in Politik und System gescheitert“ und ja (!) an einem „eklatanten Mangel an Demokratie“. Trotzdem wehren sich die Partei und auch Bodo Ramelow, der Thüringer Ministerpräsident in Wartestellung, vehement dagegen, die DDR einen Unrechtsstaat zu nennen. 

Zur Erinnerung: Die Staatsführung der DDR ließ „Republikflüchtlinge“ an der Grenze – dem antifaschistischen Schutzwall –  erschießen, steckte Regimekritiker in die Gefängnisse, nahm vielen von ihnen die Kinder weg, schränkte die Reisefreiheit seiner Bürger ein und bestimmte, wer welche berufliche Laufbahn einschlagen durfte. Der Hinweis, dass dies alles nach geltendem DDR-Recht und -Gesetz geschah, klingt dabei wie Hohn. Mit einem Hinweis auf das Ermächtigungsgesetz von 1933 könnte man auch versuchen, die Verbrechen an der Menschheit, die auf Befehl der Nazis begangen wurden, als legal darzustellen. Auf diese Idee käme angesichts der monströsen Menschheitsverbrechen Gottseidank wohl kaum jemand. Aber nicht nur die Dimension entscheidet über die Frage, was Unrecht und was ein Staat ist, der Unrecht ausübt. 

Selbstbeschäftigungsmodus = Selbstbeschäftigungsmalus

Selbstbeschäftigungsmodus = Selbstbeschäftigungsmalus

S„Si tacuisses, philosophus mansisses!“ (deutsch: Wenn Du geschwiegen hättest, wärest Du ein Philosoph geblieben). Mit diesem lateinischen Satz pflegte Franz Josef Strauß, der ein Faible für Latein hatte, seine parteiinternen Kritiker in die Schranken zu weisen. Wenn sie dadurch nicht zum betretenen Schweigen gebracht wurden, schob der große CSU-Stammvater gerne noch ein „Quod licet Jovi, non licet bovi!“ hinterher (deutsch: Was Jupiter erlaubt ist, ist dem Rindvieh nicht erlaubt!). Die Zeiten der wohl gewählten und gesetzten lateinischen Sentenzen sind zwar vorbei, aber in Momenten wie diesen vermisse ich diese Form der gepflegten Herabsetzung parteiinterner Kritiker.

Mitglieder des so genannten Anden-Pakts wie Friedrich Merz und der ehemalige hessische Ministerpräsident und früh verabschiedete Topmanager Roland Koch üben momentan öffentlich massive Kritik an Angela Merkel. Das hat den Beigeschmack eines späten Rachefeldzuges älterer Herren. Sie schmerzt das Gefühl, politisch an Merkel gescheitert zu sein. Sie versuchen eine offene Rechnung zu begleichen, gerade noch bevor die Kanzlerin sich 2021 aus dem Amt und der Politik zurückziehen wird.

Es riecht nicht nach Zufall, wenn der „Hoffnungsträger“ Merz nach Vorlage durch den JU-Vorsitzenden die Kritik via BILD weiter anschürt und sein alter Freund Koch dann im betont konservativen Magazin „CICERO“ nachlegt. Das Ergebnis dieser Aktion mag ihnen heimliches Vergnügen bereiten. Für die Union ist diese Debatte schädlich. Diesen beiden sei die Erkenntnis des englischen Philosophen Sir Francis Bacon (1561 – 1626) ins Stammbuch geschrieben: „Wer nach Rache strebt, hält seine Wunden offen.“ 

 Wenn die CDU weiter im Selbstbeschäftigungsmodus agieren will, wird sie dafür kaum die Sympathien der Wählerinnen und Wähler gewinnen können – vor allem, wenn sie sich auf eine Debatte getreu dem AfD-Motto „Merkel ist an allem schuld!“ einlässt. Das Nachtreten gilt beim Fußball in allen Spielklassen und Ligen als unfein und wird zurecht mit der roten Karte bestraft. Trifft es bei dieser verpönten, unfairen Übung Publikumslieblinge machen die Zuschauer ihrem Unmut laut Luft. Das Publikum wird grob und es meint es auch so! Deshalb kann vor solch einem Umgang mit der Bundeskanzlerin, die noch immer über hohe Sympathiewerte verfügt, nur gewarnt werden. Das Wahlvolk hat ein feines Gespür dafür, wie Parteifreunde miteinander umgehen.

Die Altgranden der CDU und ihre Eleven aus der Jungen Union sollten sich einmal nüchtern mit dem mehr als bescheidenen Zustand der SPD befassen. Seit sich die „alten Tante SPD“ im Selbstbeschäftigungsmodus befindet, sinkt der Stern der Traditionspartei rapide. Einstellige Wahlergebnisse wie jetzt in Thüringen sind die Ernte des Mobbings gegen die eigene Vorsitzende Andrea Nahles und des quälenden Nachfolge-Findungsprozesses. Die Gleichung „Selbstbeschäftigungsmodus = Selbstbeschäftigungsmalus“ stimmt auffallend. Mit Restvernunft sollten die Akteure in der CDU das erkennen und die Diskussion so schnell wie nur möglich abbrechen.  Wenn nicht werden die Wochen bis zum Bundesparteitag der CDU Ende November ein großes Trümmerfeld anrichten.

Friedrich Merz hat gute Chancen samt seinen unübersehbaren Ambitionen auf das Kanzleramt erneut politisch zu scheitern. Eine Antwort auf die Frage, ob er wirklich der Heilsbringer sein kann, als den ihn die Junge Union auf ihrem Deutschlandtag gefeiert hat, fällt nicht unbedingt positiv aus. Schon Bundeskanzler Helmut Kohl schätzte den wirtschaftlichen Sachverstand und seine rhetorischen Fähigkeiten. Doch spürte der Rekordkanzler, dass dem „Sauerländer“ seine Eigenschaft im Weg steht, alle spüren zu lassen, wie intelligent er ist. Alte Weggefährten bezweifeln, ob er in der Lage sein könnte genügend Teamgeist zu entwickeln, um einen Wahlkampf erfolgreich zu bestreiten.  

Auch böte seine Tätigkeit bei großen Finanzinvestoren genügend mediales Angriffspotenzial.  Wie so etwas aussieht hat die Union bereits im Bundestagswahlkampf 2005 schmerzlich erfahren müssen. Der renommierte Professor Paul Kirchhof hatte ein interessantes Steuermodell präsentiert. Der damalige Bundeskanzler Schröder nahm den „Professor aus Heidelberg“ ins Visier. Die Union wolle ein neokonservatives Wirtschaftsmodell statt der Sozialen Markwirtschaft, von dem nur die großen Investmentgesellschaften profitieren. Eine „Heuschrecken-Debatte 2.0“ würde die Bäume für die Union wie damals schon nicht in den Himmel wachsen lassen.

Das Do-It-Yourself-Problem der CDU

Das Do-It-Yourself-Problem der CDU

Der Beschluss der Jungen Union, künftig für die Auswahl des/der Kanzlerkandidaten bzw. -kandidatin eine Urwahl unter den Mitgliedern abzuhalten, erinnert irgendwie an die alte Spruchweisheit: „Wenn man keine Probleme hat, macht man sich welche!“ Als geneigter Beobachter und Grufti-Ex-JU-ler reibt man sich angesichts dieser Meldung verwundert die Augen und fragt sich, was die JU-Häuptlinge wohl geritten hat, dieses Thema hochzuziehen? Die Frage, wer CDU und CSU im nächsten Bundestagswahlkampf anführen soll, steht derzeit nicht auf der Tagesordnung. Und, sollte sie durch eine Nikolaus-Überraschung des Koalitionspartners SPD im Dezember beantwortet werden müssen, wäre es sicherlich kein Signal von Entschlossenheit und Geschlossenheit, die Frage durch die langwierige Prozedur eines Mitgliederentscheides beantworten zu wollen.

Dazu müsste dann erst einmal entschieden werden, wer darüber bestimmt, wer kandidieren darf. Echte Basis-Demokratie – man will der Jungen Union als Motivation für ihren Beschluss nichts anderes unterstellen – würde ein offenes Bewerbungsverfahren erfordern, sowie bei der SPD. Die hat mit ihrem laaaangen Weg der Kandidatensuche in den vergangenen Monaten für allerlei Witze gesorgt und das Publikum trotzdem vor allem gelangweilt. Der monatelange Selbstbeschäftigungsmodus in dem die Sozialdemokraten seither verharren, hat ihnen bei den Wählerinnen und Wählern wenig Beifall aber dafür sinkende Prozentzahlen in den Meinungsumfragen beschert. Erinnern wir uns: Die letzte Urwahl des Kandidaten für den Parteivorsitz 1993 bescherte der SPD den ebenso erfolg- wie glücklosen Rudolf Scharping. Auch das ist auch nicht gerade ein ermutigendes Beispiel für den Erfolg von Basisdemokratie. Ob die Masse der Mitglieder ein Garant dafür ist, dass der beste und erfolgversprechendste Kandidat am Ende gekürt wird, bleibt fraglich. 

Bisher gehörte es zur DNA von CDU und CSU, dass man mit einem gemeinsamen Kanzlerkandidaten in den Kampf um Bundestagsmehrheiten zieht. Darüber haben die Parteitage von CDU und CSU entschieden. Bei dieser Kandidatenkür hatte die CSU ein gleichberechtigtes Mitspracherecht. Soll die CSU künftig etwa Zaungast des Verfahrens sein und das Ergebnis des Mitgliederentscheids der CDU nur abnicken? Neuer Krach zwischen den Unionsschwestern wäre vorproduziert. Die Folge: Die Show würde größer und die Wahlergebnisse kleiner. Das ist keine Behauptung sondern eine Erfahrung aus der Geschichte der Union. Immer wenn es zwischen CDU und CSU knirschte und sich die Schwesterparteien uneins zeigten, stürzten sie in der Wählergunst ab. 

In Zeiten eines Sechs-Parteien-Systems ist das besonders problematisch. Um Regierungsmehrheiten erringen zu können, müssen CDU und CSU bei Wahlen eine strategische Position erreichen, gegen die sich keine rot-rot-grüne Mehrheit rechnet. Mit Hader und Streit erreicht die Union dieses Ziel nicht. Erschwerend kommt hinzu, dass der aktuelle Beschluss von den Medien nicht ohne ernsten Hintergrund als ein nur wenig kaschiertes Misstrauensvotum gegen die CDU-Vorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer wahrgenommen wird. Die Parteivorsitzende zu schwächen und damit den politischen Gegnern Vorlagen zu liefern, ist auch nicht der politischen Weisheit letzter Schluss. Der Ablauf solcher Veranstaltungen ist spätestens seit dem Scheitern der SPD-Vorsitzenden Andrea Nahles bekannt. Parteivorsitzende scheitern in der Regel nicht am politischen Gegner. Sie stürzen für gewöhnlich über die eigenen Genossen oder Parteifreunde. Die SPD stürzte nach dem Nahles-Desaster in der Wählergunst weiter unter die 20-Prozent-Marke ab. Das Lamento der JU-Granden, weil die „bösen Medien“ sich auf dieses Thema stürzen und die anderen 500 Anträge ihres Deutschlandtages nur unter „ferner liefen“ behandeln, klingt so wie das Heulen weinender Krokodile. 

Wir erleben nicht zum ersten Mal in der Geschichte der Bundesrepublik eine Phase großer Umbrüche. Die Frage, wie die Zukunft der Industriegesellschaft gestaltet werden kann, bedrängt die Menschen. Ob und wie man die großen Herausforderungen Klimaschutz und die „Industrielle Revolution 4.0“ unter einen Hut bringen kann, harrt einer politischen Antwort.  In den 60er Jahren mischte die Junge Union stark im Diskurs über die großen gesellschaftlichen Zukunftsfragen mit. Seither ist es stiller geworden, wie nicht nur die alten Granden von CDU und CSU empfinden. Es wäre interessant gewesen zu erfahren, was die Jugend der Union, zu „Fridays for future“ und „Extinction Rebellion“ und ihren Forderungen nach Schaffung einer Diktatur der Ökologie zu sagen hätte. Die ewigen Dislikes, Daumen-runter und Buhs für Greta und Daumen-Hoch-Likes für erzkonservative Gruppierungen in den sozialen Medien, reichen sicherlich nicht aus, um sich mit Vorstellungen auseinander zu setzen, wie sie einst Platon mit seiner Vorstellung des idealen Staates entwickelte, der im Streben nach dem Guten nicht vom Volk, sondern von einigen wenigen „Guten“ geleitet wird.

Als die Mauer Risse bekam

Als die Mauer Risse bekam

Ich liebe, ich liebe doch alle, „alle Menschen, na ich liebe doch, ich setze mich doch dafür ein!“ Dieser gestammelte Satz gesprochen 1989 von Erich Mielke vor einer riesigen Menschenmenge auf dem Berliner Alexanderplatz markiert, wie kaum ein anderer das Ende des Arbeiter- und Bauernstaates DDR. Aus der Menge hagelte es Hohn und Spott auf den einst mächtigsten Mann der DDR, der mit seinem Ausspähungs- und Unterdrückungsapparat das sozialistische System so lange Jahre stabilisiert hatte. Aus dem gefürchteten Stasi-Chef war ein alter, dicklicher kleiner Mann geworden, der die Welt nicht mehr verstand, weil seine Welt gerade um ihn herum zusammenbrach.

Seine Späher waren im Alltag der DDR allgegenwärtig. Mielkes sozialistischer Staat liebte die Menschen so sehr, dass er niemandem erlaubte, frei zu reisen oder gar in den anderen Teil Deutschlands umzusiedeln. Wer sich dieser besitzergreifenden Liebe entzog und dabei erwischt wurde, landete im Gefängnis oder starb getroffen von Selbstschussanlagen oder den Feuerstößen aus den automatischen Waffen der „Schützer des antifaschistischen Grenzwalls“. Kinder konnten „Republikflüchtlingen“ und Regimekritikern von Staats wegen weggenommen werden. Der Staat bestimmte das Leben seiner Bürger – welcher Schlager gehört werden durfte, wie sich Kunst und Literatur darstellten. Wer ideologisch genügend gefestigt war, durfte studieren. Alle anderen mussten auf andere Berufe meist in der Produktion ausweichen. 

Selbst die Reiseziele seiner Bürger bestimmte der Staat. Dort im befreundeten „sozialistischen Ausland“ vor allem in Polen und in Ungarn erlebten viele Touristen aus der DDR, wie die kommunistischen Regime wankten und ihre Legitimation in Frage gestellt wurde. Sie spürten, dass die Breschnew-Doktrin, wonach die „Souveränität einzelner Staaten ihre Grenze an den Interessen der sozialistischen Gemeinschaft“ endet, auf dem Weg zum Müllplatz der Geschichte war. Zwanzig Jahre zuvor war diese Doktrin die Rechtfertigung für den Einmarsch von Truppen des „Warschauer Pakts“ in der aufbegehrenden Tschechoslowakei und die Niederwerfung des Prager Frühlings.

Erst zwanzig Jahre danach durfte sich manifestieren, dass nicht der Kapitalismus den Menschen von seiner Natur entfremdet, wie Marx in seinen Schriften behauptete, sondern der staatlich verordnete Kommunismus. Die Menschen wollten nicht alle gleich sein und von anderen regiert werden, die gleicher waren als sie und sich Privilegien aller Art leisteten. Der alte DDR-Witz, wonach sich das Volk der Arbeiter und Bauern vertreten durch seine Funktionäre in Autos fortbewegt, illustriert dieses Empfinden. Als Michail Gorbatschow daran ging, das alte System zu reformieren, um es zu erhalten, öffnete er die Flasche, aus dem der Geist der Freiheit entwich, wie der Djinni aus Aladins Wunderlampe. 

Wir im anderen Teil Deutschlands schauten verwundert und sorgenvoll dabei zu, wie das SED-Regime sich abmühte den Geist wieder in die Flasche zurückzubekommen. Das wäre nur gelungen, wenn der große sozialistische Bruder in Moskau bereit gewesen wäre, es hinzunehmen oder sogar dabei zu helfen, die friedliche Demonstration in Blut zu ertränken. Jede der ständig größer werdenden Montagsdemonstrationen in der DDR ab dem September 1989 wurde auf unserer Seite des Eisernen Vorhangs mit der Sorge begleitet, das Regime in Ost-Berlin könne ernst machen und gegen die Menschen mit Gewalt vorgehen. Denn die Bilder vom Massaker auf dem Tian-Anmen in Peking am 4. Juni 1989, als chinesische Truppen gegen demonstrierende Studenten gewaltsam vorgingen und viele von ihnen tötete, waren noch sehr lebendig. 

Die Urlauber aus der DDR, die Mitte August ein „Paneuropäisches Picknick“ am gerade zerschnittenen Grenzzaun zwischen Ungarn und Österreich nutzten, um sich in den „freien Westen“ abzusetzen, die Tausende, die sich in die Botschaften der Bundesrepublik Deutschland flüchteten und dabei nicht mehr von der Polizei der „sozialistischen Bruderstaaten“ gehindert wurden, und die gewaltigen Montagsdemonstrationen auf den Straßen waren die ersten Risse in der Mauer des „antifaschistischen Schutzwalls“. 

Der Mut der Menschen, die in den Städten der DDR offen gegen das Regime auftraten und mit dem Ruf „Wir sind das Volk“ die historisch einmalige friedliche Revolution begannen, sorgten dann endgültig für den Wunderherbst 1989. Die Deutschen in Ost und West feierten die Wiedervereinigung. Das lange verloren geglaubte Nationalgefühl, das sich höchstens bei Fußballweltmeisterschaften und Olympischen Spielen zurückmeldete, tauchte unser Land in einen Freudentaumel aus Schwarz, Rot und Gold. 

Nach der Feier kam die nüchterne Arbeit. Die Wirtschafts- und Währungsunion mit der DDR und schließlich der Einheitsvertrag wurden 1990 geschlossen. Die Kosten für die Einheit waren kaum überschaubar.  Die Liste der Ausgabenposten ist lang. Für die Umstellung der Privatvermögen Ost im Verhältnis 1:1, die Schaffung einer modernen Infrastruktur in den  Städten und Orten der ehemaligen DDR, die Übernahme der Ostrenten und die Altersversorgungansprüche, für die nie eine Mark in die Rentenkassen-West eingezahlt worden waren und die Übernahme der Schulden der DDR-Kommunen in dreistelliger Milliardenhöhe durch die von Theo Waigel geführte Bundeskasse, verschlangen bis heute etliche Billionen Euro.  Der Untergang der Ostblock-Handelszone RGW und des Transferrubelsystems stürzte das wiedervereinigte Deutschland in weitere große Probleme. Die ehemaligen DDR-Unternehmen blieben auf ihren unbezahlten Rechnungen sitzen und mussten sich neue Märkte suchen. Viele scheiterten an dieser Herausforderung.

Heute, dreißig Jahre danach, diskutieren wir nur selten über die Freude, die der Wunderherbst 1989 bei uns Deutschen auslöste, sondern meistens über „die Fehler“, die damals ohne Zweifel auch gemacht wurden. Es gab kein Lehrbuch dafür, wie man solche gigantischen historischen Aufgaben meistert und zwei völlig unterschiedliche Volkswirtschaften, die freie Marktwirtschaft und die Planwirtschaft, in der von oben verordnete Jahrespläne den Takt bestimmten, erfolgreich umbaut. 

Der größte Fehler war sicherlich, dass die Politik zu Beginn des Einheitsprozesses dem Ranking der OECD glaubte, das die DDR unter die zehn größten Volkswirtschaften der Welt zählte.  Das war sie nicht. Im Oktober 1989, wenige Tage vor dem Mauerfall, legte der Chef der Planungskommission der DDR, Gerhard Schürer, der Staatsführung eine verheerende Analyse der wirtschaftlichen Lage vor. Sein Fazit: Die Staatsverschuldung der DDR sei so hoch, dass die Zahlungsunfähigkeit unmittelbar bevorsteht. Die Friedliche Revolution hat so gesehen auch für eine Ironie der Geschichte gesorgt. Die verhasste „BRD“ beglich die Zeche, die von der SED (Rechtsnachfolger „Die LINKE!) und ihren sozialistischen Illusionen des „Arbeiter- und Bauernstaates“ hinterlassen worden war. Das klingt ernüchternd. Vielleicht wäre es gut gewesen diese Tatsache all jenen zu vermitteln, die nach dem Rausch auch heute noch immer nach Fehlern und Schuldigen suchen und sie in der Bundesregierung und den demokratischen Parteien finden wollen.

Nachtrag: Der bekannte DDR-Dissident, der Dichter und Liedermacher  Wolf Biermann, 1976 aus der DDR zwangsweise ausgebürgert, hat in einem Interview mit dem Hamburger Magazin DER SPIEGEL (Ausgabe 39a v. 25.09.19, S.38) ein Sonett für Angela Merkel rezitiert, in dem er aus seiner Sicht alles zum Thema Deutsche Einheit sagt, was zu sagen ist:

Das ist es, woran unser

Vaterland krankt

Es leidet am sauertöpfischen

Fun Fatal! Mancher deutsch-

deutsche Bürger verdankt

Dir mehr, als er ertragen kann

Drum redet er sich seine Kanzlerin

schlecht

Die „Merkel muss weg„Rotte

redet Dich klein

„Mir san halt a Scheißvolk!“ –

So dichtete Brecht

in Ost-Berlin böse im Nachhinein

Nach zwei Diktaturen wütet 

nun krass

Ein neidkalter Friede voll

Fremdenhass

Die Geizgeilheit, sie macht

auch Steinreiche arm

Die Freiheitsrechte verlier’n ihren

Charme

Der Wiedervereinigungsrausch

ist passé – gelernten Sklaven tut 

Freiheit halt weh.

(Wolf Biermann 2015)

BoJo oder das Volk gegen seine Vertreter?

BoJo oder das Volk gegen seine Vertreter?

Von wegen „stiff upper lip“ – übersetzt etwa „Haltung bewahren“ – davon war am ersten Tag nach der Rückkehr der Unterhausabgeordneten auf die grünen Lederbänke in Westminster wenig bis gar nichts mehr zu spüren. Wo sich sonst die Palamentarier mit „my right honorable friend“ oder „the right honorable …) ansprechen, flogen Injurien munter hin und her. „Verräter“, „Lügner“, „Truthähne, die Weihnachten nicht mehr erleben werden“, so etwas hatten die Briten bisher noch nicht erlebt. In dieser wenig rühmlichen Ausnahme von der sonst gepflegten Debattenkultur setzte besonders einer den Grundton – Premierminister Boris Johnson.  Die Kritik schäumte heftig auf. Selbst die Bischöfe der anglikanischen Kirche bezeichneten die Wortwahl und den Auftritt des Premiers im House of Commons  als „absolut unakzeptabel. 

Zur jüngsten Entscheidung des höchsten britischen Gerichts, des Supreme Courts, merkte der Regierungschef lapidar an, er respektiere die Unabhängigkeit der Justiz, aber die Entscheidung der elf Richter sei falsch. Die hatten ihm einstimmig bescheinigt, dass er rechtswidrig handelte, als er eine fünf Wochen lange Suspendierung des Parlaments, die so genannte Prorogation, von der Königin verordnen ließ. Normalerweise dauert sie vor Regierungserklärungen eine Woche. Dass er dabei das Staatsoberhaupt, Elisabeth II., offensichtlich über seine wahre Absicht im Unklaren ließ oder sogar anlog, hätte ihn in früheren Zeiten unweigerlich an den Galgen gebracht.  Zu seinem Glück wurde die Todesstrafe in zwei Schritten in den Sechziger Jahren und  – Achtung Boris Ironie der Geschichte !  – unter Hinweis auf die Europäische Menschenrechtscharta – 1998 zuletzt auch aus der Militärgerichtsbarkeit des Vereinigten Königsreichs verbannt. „Nowadays“ – Heutzutage folgt solchem Handeln normalerweise die völlige gesellschaftliche Ächtung. Unbeeindruckt vom starken Gegenwind handelt Bojo nach dem Motto „Ist der Ruf erst ruiniert, lebt sich‘s völlig ungeniert“. Keine Spur von Demut oder Einsicht! 

Der Mann hat keine Skrupel. Er agiert in einem bemerkenswert polemischen Wahlkampfmodus. Da wird das Florett der Rhetorik beiseitegelegt und zum rostigen Beil gegriffen. Boris Ziel sind Neuwahlen, weil er hofft, dass ihm die Wähler Recht geben und sich gegen ihre Vertreter im Unterhaus wenden werden. „Das Volk gegen seine Vertreter“ lautet Johnsons Devise. Ob das den gewünschten Erfolg bringt, darf bezweifelt werden.  Die Umfragen sehen die Tories zwar in einem leichten Aufwärtstrend. Von einer Mehrheit, die eine Alleinregierung seiner Partei ermöglicht, ist der Premierminister allerdings noch weit entfernt. Erschwert wird die Operation „Siegreiche Neuwahlen“ durch die miesen Sympathiewerte des Amtsinhabers. 

In der Hoffnung, dass sich sein Bild bei den Wählern aufhellt, braucht BoJo nach seiner festen Überzeugung den Brexit zum 31. Oktober – ohne Wenn und Aber. Er setzt dabei vor allem darauf, dass seine Frechheit siegt. Deshalb versucht er die Grauzonen zu nutzen, die ihm ein politisches System bietet, das statt auf einer niedergeschriebenen Verfassung auf einer Mischung aus historischen Dokumenten, wie der „magna charta“ und der “Bill of Rights“ aus dem 13. und dem 17. Jahrhundert, einigen wenigen Gesetzesartikeln, Gewohnheitsrecht und „gentlemen‘s agreement“ fußt. 

Johnsons Behauptung, dass die Vertagung des Parlaments vor einer Regierungserklärung, der sogenannten Queens Speech, politischer Natur sei und damit nicht Sache des Gerichts, beweist, wie leicht es für skrupellose Amtsträger ist, bisher geltende Regeln in ihrem Sinne umzuinterpretieren. Bei Licht betrachtet, war es der Versuch, die Gewaltenteilung in einer parlamentarischen Demokratie zu Gunsten der Exekutive zu verschieben. Da die Regierung großen Einfluss auf die Gestaltung der Tagesordnung im Unterhaus hat und mit ihrer Parlamentsmehrheit auch den Parlamentspräsidenten, den Speaker, bestellt, hat die britische Regierung entgegen dem verbreiteten Mythos von der „ältesten Demokratie der Welt“ ohnehin mehr Möglichkeiten Macht auszuüben als unsere Bundesregierung. 

Dieser Tage erschien dazu ein bemerkenswertes Interview mit dem noch amtierenden Speaker John Bercow in der Neuen Zürcher Zeitung.  Er erklärte, dass er Abstimmungen über Alternativvorschläge aus den Reihen des Parlaments „im Rahmen der rechtlichen Konventionen zugelassen“ habe, weil „dadurch der Wille der Parlamentsmehrheit getestet werden konnte.“ Und weiter: „Das hat der Regierung nicht gepasst. Nach meinem Verständnis war das aber demokratisch richtig. Es ist nicht meine Aufgabe, die Regierung vor parlamentarischen Mehrheiten zu schützen.“ Damit offenbarte der inzwischen weit über Großbritannien hinaus bekannte Politiker, dass er den Rechtsrahmen in dieser Zeit der Polarisierung auch im Sinne der Regierung hätte auslegen können. Um die Rechte des britischen Parlaments zu schützen und zu stärken, denken deshalb etliche Politiker laut darüber nach, ob es nicht an der Zeit wäre eine geschriebene Verfassung einzuführen. Sie soll die bestehenden Grauzonen entfernen und alles das zusammenfassen und konkretisieren, was zwar als guter Brauch gilt aber nicht kodifiziert ist. 

Bis zum nächsten EU-Gipfel, auf dem der Abschied Großbritanniens aus dem Staatenbund besiegelt werden soll, sind es nur noch knapp zwanzig Tage. Die haben es allerdings in sich. Der TV-Sender PHOENIX darf sich schon jetzt auf weiter hohe Einschaltquoten freuen, wenn Bercow die Temperamente der „right honorable MPs“ mit seinem berühmten „Oooooorder“ zu zügeln versucht. Der letzte Akt wie aus einem Shakespeare-Drama beginnt. Es fehlt nur noch Hamlet und sein bekannter Satz: „Ist dies schon Wahnsinn, so hat es doch Methode.“